Grüner Aufbruch — Im Parteiapparat versandet?

Antje Vollmer, „Aufbruch“-Gründerin und Sprecherin der Bundestagsfraktion, zieht Bilanz: Gescheitert bin ich nicht/ Eine der profiliertesten grünen Persönlichkeiten scheidet aus dem Bundestag aus/ Kritik an Binnenklima und Verapparatung der Partei/ Demokratisierung angemahnt  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Gescheitert bin ich überhaupt nicht.“ Antje Vollmer, Fraktionssprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, die nach sechs Abgeordnetenjahren im ersten gesamtdeutschen Parlament nicht mehr vertreten sein wird, weist die entsprechende Frage fast entrüstet zurück.

Zumindest aber ist sie, die gerne weitergemacht hätte, ein Opfer der Rotation geworden — die sie einst erbittert gegen die Realos verteidigt hat und in der letzten Zeit immer kritischer bewertete. Von der Stärke und Zustimmung, die der von ihr gegründete „Aufbruch“ im Kampf gegen die zerstörerischen Flügelkämpfe einst hatte, ist wenig geblieben. Die schwere Niederlage auf dem Dortmunder Parteitag im Juni, als der Aufbruch-Vertreter Ralf Fücks als Vorstandssprecher abgewählt wurde, wirkt nach. Der einstige Anspruch, die Partei zu versöhnen, brachte am Ende durch eine kompromißlose Konfrontation gegen die Parteilinke auf dem Hagener Parteitag im April die Grünen der Spaltung näher als jemals zuvor.

Auch in ihrem zweiten Wirkungsfeld, der Bundestagsfraktion, der sie in den vergangenen zwei Jahren vorstand, hat sie mehr Widerspruch als Zustimmung geerntet. Daß Antje Vollmer das Sprecherinnen-Amt zur Darstellung ihrer Positionen in den Medien zu nutzen verstand, hat ihr Kritik eingebracht. Dabei hat es konsensfähige Positionen bei den 42 ParlamentarierInnen äußerst selten gegeben. Und verantwortlich dafür, daß die Fraktion wenig Erfolge vorzuweisen hat, ist Antje Vollmer nicht. Mit ihrer im Juni 1989 vorgebrachten Forderung nach Reformen, um die Fraktion arbeitsfähiger zu machen, konnte sie sich nicht durchsetzen: Sie bemängelte das Fehlen von Schwerpunkten und die teilweise chaotische Arbeitsweise der „Einzelhofbauern“, die eine positive Außendarstellung der Fraktion trotz guter fachlicher Arbeit und zum Teil immensen Fleisses der einzelnen Abgeordneten zunichte macht. Zudem sind die wenigsten während ihrer Jahre in Bonn von Fachleuten zu PolitikerInnen gewachsen. Als Teil des Problems sieht sie auch den Apparat mit seinen fast 200 FraktionsmitarbeiterInnen, dem sie die Tendenz zu lähmendem Beamtentum attestiert.

„Ruhe und Kontinuität“ in die Fraktion hineinzubringen, sei das Ziel gewesen; dagegen hätten die „Außenfliehkräfte“ gestanden. „Agenten des Gemeinsamen hat es nie gegeben“, sagt Antje Vollmer, die dieses sein wollte. Mit der Bemerkung, „das Binnenklima war sehr ermüdet“, umschreibt sie die Nachwirkung jener Polarisierung zu Beginn der Wahlperiode, als die Auseinandersetzung zwischen dem Hamburger Öko-Sozialisten Thomas Ebermann und dem Realo Otto Schily die Fraktion zerriß. Diese unversöhnlichen Gegensätze waren immer wieder zu spüren, beispielsweise beim RAF-Hungerstreik Anfang 1989. Im letzten Jahr, beschleunigt durch den innergrünen Streit um die Deutschlandpolitik, hat sich die Fraktion zunehmend atomisiert. Dies hat den Fraktionsvorstand zum einzig handlungsfähigen Gremium gemacht. Der insbesondere bei der Parteilinken beklagte Machtzuwachs der Fraktionssprecher stellt sich deshalb vor allem als Schwäche der Fraktionäre dar. Viele derjenigen, die nicht noch einmal nominiert wurden, haben vorzeitig ihre Arbeit eingestellt. In den letzten Monaten waren Fraktionssitzungen mit weniger als zehn Personen nicht selten.

Der „Aufbruch“-Gründerin ist nicht erspart geblieben, Zielobjekt der Grünen liebster Lust zu werden: Partei-Prominente fertigmachen. Ihr Ausscheiden verweist erneut auf den alarmierenden Verschleiß der Grünen an bundesweit bekannten Persönlichkeiten. Die Partei läuft deswegen Gefahr, mit einer anonymisierten Politik unter die Wahrnehmungsschwelle der Medien und der Bevölkerung abzusinken. Die Bielefelderin spricht von einem „animalischen Umgang“ und der „Gnadenlosigkeit der Partei mit hervorgehobenen Leuten“. Erinnert fühlt sie sich an den heftig bekämpften Otto Schily, wenn sie von „Parallelen in der emotionalen Isolierung“ spricht und davon, wie Schily „hilflos versucht hat, das aufzubrechen“.

Eine Demokratisierung der Parteistruktur hält sie für unumgänglich. Es sei ein Unding, daß Mandatsträger rotierten, gleiches aber nicht für Mitglieder des Parteiapparats gelte, moniert sie und spricht von einer drohenden „Sklerotisierung“ der Grünen. Der nicht abwählbare Bundesgeschäftsführer der Grünen sei inzwischen weitaus länger im Amt als bei CDU, SPD und FDP. In der NRW-Landtagsfraktion, so führt sie an, seien acht der zwölf Abgeordneten aus dem Parteiapparat gekommen oder Fraktionsmitarbeiter mit garantiertem Rückkehrrecht nach der Mandatszeit: „Das macht Rotation zur Farce.“ Auch gelte die Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat, doch andererseits sind die Delegierten der Parteitage im hohen Maße MitarbeiterInnen der Partei. „Ein Apparat darf nicht über sich selbst Beschlüsse fassen“, verlangt die Fraktionssprecherin.

Schneiderin eines konservativen Outfits?

Die zierliche Person, deren Reden oft die seltene Balance zwischen medienwirksamer Prägnanz und nachdenklicher Tiefe haben, verweist aber auch auf die Erfolge ihrer Arbeit. Bei der von ihr betriebenen Entschädigung für vergessene NS-Opfer wie auch bei der von ihr initiierten Dialog-Debatte mit der RAF sieht sie die Chancen der Opposition genutzt. Die Fraktionssprecherin war auch maßgeblich daran beteiligt, die auf Zweistaatlichkeit festgezurrte Partei aus der Fraktion heraus auf einen neuen Kurs zu bringen. Als Aktivposten beurteilt sie außerdem das Bündnis mit den Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR ebenso wie eine vom „Aufbruch“ durchgesetzte Betonung der Ökologie in der Partei.

Ihre Vision von den Grünen als „ökologischer Bürgerrechtspartei“ hat dem „Aufbruch“ und insbesondere Antje Vollmer allerdings das Mißtrauen bis hin zu den Realos eingebracht, sie wolle den Grünen ein konservatives Outfit schneidern. Die Sorge fundiert die Erfahrung, daß viele DDR-BürgerrechtlerInnen mit „links“ wenig anfangen können. Die gelernte Pastorin betont dagegen die Chance, mit Hilfe der DDR-PartnerInnen das ihrer Meinung nach festgefahrene grüne Parteimodell noch einmal in Frage zu stellen. Zudem wird die geforderte Konzentration auf die Ökologie als zentrale Zukunftsaufgabe der Grünen als Ablehnung der von der Parteilinken hochgehaltenen sozialen Problematik verstanden. Die von Vollmer als längst überfällig für einen Klärungsprozeß begrüßte Abwanderung von Parteilinken zur PDS nährt diesen Verdacht. Ebenso ihre Ansicht, „Abschiednehmen vom alten Links- Standort“ sei die zentrale Lehre aus der DDR-Revolution.

Ihre vorsichtigen Überlegungen zur „Weltmacht“ Deutschland und den möglichen Aufgaben am Golf, verschärft allerdings noch von ihren Mitarbeitern Bernd Ulrich und Udo Knapp, ernteten einem Sturm der Entrüstung. Den Bayreuther Parteitag im September, als die Grünen nahezu einstimmig diese Position verurteilten, ersparte sie sich.

Der Parteimehrheit wirft sie vor, nicht nur CDU und SPD, sondern auch die Grünen arbeiteteten heimlich einer großen Koalition entgegen. Dann könnten sie weiter in der Nische der Opposition bleiben, die ohne Realisierungschance ihrer Forderungen alle Unschuld der Verantwortungslosigkeit auf ihrer Seite hätte. Dies sei eine „grüne Regression“ mit konservativen Zügen.

Nach dem 2. Dezember will sie erstmal ein halbes Jahr Pause machen, abwarten, welche Angebote kommen, sagt die ehemals in der Erwachsenenbildung tätige Abgeordente, die zeitweise auch für ein Regierungsamt im neuen Bundesland Brandenburg im Gespräch war. Was ihre Zukunft in der Partei angeht, darüber schweigt sie sich aus. Die von Knapp vertretene Ansicht, nach dem Abgang der ersten Generation mache sich der Apparat die Partei untertan und schaffe die Rotation ab zu seinen eigenen Gunsten, mag Vollmer als Gefahr nicht ausschließen. Entscheidend sei, ob Leute mit Erfahrung auch eine Chance hätten, wiederzukommen. Dies aber sehe sie „bei einer Verapparatung nicht“.