Schlesierjugend im „Basislager“

■ Kongreß der Schlesischen Jugend tagt an der Neiße/ Grußwort des polnischen Botschafters

Görlitz (taz) — Erstmals in Schlesien tagte am Wochenende der „Kongreß der Schlesischen Jugend“. An dem Treffen in der Stadthalle Görlitz, wenige Schritte vom deutsch- polnischen Grenzfluß entfernt, nahm neben der Kampfreserve der schlesischen Landsmannschaften auch die Unabhängige Initiativgruppe Niederschlesien aus Görlitz teil.

In Arbeitskreisen referierten sie über die „Eingliederung der Vertriebenen in der sowjetischen Besatzungszone“, die „Geschichte der schlesischen Lausitz“, „Umweltfragen in Schlesien“, über die Rolle der Kirchen im deutsch-polnischen Verhältnis und über die Zukunft der Deutschen in Oberschlesien.

Polnische PolitikerInnen waren nicht anwesend. Jedoch sandte Janusz Reiter, Botschafter der Republik Polen, dem Jugendkongreß ein Grußwort. Nur aus einem europäischen Zusammenhang, schrieb der Botschafter, lasse sich heute das neue Miteinander von Polen und Deutschen gestalten.

Mit dem in Kürze zu unterzeichnenden Vertrag zwischen Deutschland und Polen werde auch eine neue Grundlage für das Zusammensein von Polen und Deutschen in Schlesien geschafffen.

„Große Worte“ waren das für den Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen, Hartmut Koschyk. In einer Talk-Show vor knapp 200 TagungsteilnehmerInnen forderte er von Polen, daß der „Geist dieser Worte“ für die „Deutschen, die noch in ihrer angestammten Heimat leben, baldigst Wirklichkeit wird“. Aus den Worten des polnischen Botschafters spreche für Koschyk „die hoffentlich sich immer stärker durchsetzende Einsicht in Polen, daß der Weg Polens nach Europa über Deutschland führt“. Der Preis dafür werde sein, daß Polen „mit überkommenen Vorstellungen von Souveränität bricht“.

Europäische Lebensqualität sei, analog dem Pariser KSZE-Dokument „das Recht auf die angestammte Heimat“. Schließlich belehrte der Vertriebenen-Chef das polnische Volk darüber, daß „die Deutschen, bei aller Bereitschaft, auf Polen zuzugehen, die Polen nicht nach Europa tragen können. Da müssen sie sich selber bewegen, Abschied nehmen von Gedanken, die ins 18. Jahrhundert paßten“. Reiter und andere PolitikerInnen sollten sich „endlich dem Dialog mit den Vertriebenen stellen“.

Die Einlösung von Rechten der Vertriebenen wurde auf dem Treffen als der Universalschlüssel für die deutsch-polnischen Beziehungen und für das Haus Europa gehandelt. Wirtschaftlichen Aufschwung im Nachbarland prognostizierte Koschyk als Folge einer Handels- und Niederlassungsfreiheit für Deutsche. Blasius Hanczuch, Tischlermeister und Vertreter des Deutschen Freundschaftskreises Ratibor, konnte nich verstehen, warum „man nicht sofort zu einem geeinten Europa“ gehe. Die Vertriebenen-Frage müsse, nach Koschyks Auffassung, aus der „Randzone deutscher Kulturpolitik“ in deren Mittelpunkt gerückt werden.

Eher den praktischen Fragen zugetan zeigten sich die Görlitzer Stadtpolitiker. Franz Erward, Präsident des Kuratoriums Schlesische Lausitz, und Christian Rudolf von der Unabhängigen Initiativgruppe, hoffen auf eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte in der vernachlässigten Region beiderseits der Neiße, für ein „gesundes Verhältnis zwischen den beiden Stadtteilen“ Görlitz und Zgorzelec. Erward forderte die Öffnung der Grenze in beide Richtungen. Erst dann könne sich Schlesien, das mehrfach zitierte „Basislager“ für das Wirken des Verbandes, als Baustein im europäischen Haus bewähren. Detlev Krell