Vietnamesen werden nach Hause geschickt

Schwerin (ap) — Der Vietnamese Bingh ist schwerkrank. Dreimal in der Woche wird er im Schweriner Bezirkskrankenhaus an eine künstliche Niere angeschlossen. Das Verfahren ist aufwendig und teuer. In Binghs Heimat fehlen dafür Geräte und Geld. „Eine Rückkehr von Schwerin nach Vietnam wäre für Bingh der sichere Tod“, sagte Walter Brietzke, Oberarzt im Dialysezentrum der Klinik. Er ist froh, daß in diesem Fall die Behörden humanistische Grundsätze über bürokratische Vorschriften gestellt haben. Denn anders als die meisten ausländischen Gastarbeiter in Ostdeutschland muß er nach Ablauf seines Fünfjahresvertrags nicht nach Hause. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit hatte der Vietnamese bis Mai im Kies- und Betonwerk Ventschow bei Schwerin gearbeitet. Dann wurde er so krank, daß er seine Arbeit nicht mehr leisten konnte. „Wir sind trotz der noch fehlenden rechtlichen Regelungen guter Hoffnung, daß Bingh im Lande bleiben kann. Wenn wir Glück haben, können wir ihn sogar mit einer Spenderniere versorgen“, sagt Brietzke. Sein eigenes Engagement bezeichnet der Arzt als „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“.

Bingh ist einer von rund 60.000 Vietnamesen, die im vergangenen Jahrzehnt von der DDR-Regierung fünfjährige Arbeitsverträge erhalten hatten. Jetzt sind sie und die übrigen Gastarbeiter aus Mosambik, Tansania und Kuba die ersten, die im Zuge der Umstellung auf die Marktwirtschaft von den Betrieben auf die Straße gesetzt werden. „Die Vietnamesen wissen dabei meist gar nicht, daß sie, so lange ihre Verträge laufen, in allen arbeitsrechtlichen Fragen ihren deutschen Kollegen gleichgestellt sind“, sagt Brigitte Kulow, die im Mecklenburger Innenministerium für Ausländerfragen zuständig ist. Die gesetzlichen Verpflichtungen der Betriebe und des Staates gegenüber den Gastarbeitern stehen nach ihrer Einschätzung oft nur auf dem Papier. So seien die Begründungen für Entlassungen oft nicht ausreichend. Arbeitslosengelder, Entschädigungen, Abfindungen oder Rückreisekosten würden teilweise nicht im gesetzlichen Umfang gezahlt. Daher versuchen viele Vietnamesen, sich mit Straßenhandel über Wasser zu halten.

Ein weiteres Problem ist die Ablehnung der Bevölkerung, die die Vietnamesen zu spüren bekommen. Die Toleranz gegenüber den ausländischen Konkurrenten hat spürbar nachgelassen. Der Ausdruck „Fidschis“ ist in den neuen Bundesländern durchaus gebräuchlich. Üblere Beschimpfungen oder tätliche Angriffe sind keine Seltenheit. Zwar geht die Polizei in Schwerin nach Bürgerprotesten nicht mehr gegen Straßenhändler vor, die keine Marktstandgenehmigung haben. Aber wenn die neuen Bundesländer künftig rund 20 Prozent der Asylbewerber in der Bundesrepublik aufnehmen müssen, sind weitere Schwierigkeiten vorprogrammiert.