Am Mittwoch bleiben alle Kitas dicht

■ Uhl zieht „Überlastprogramm“ zurück / Beschäftigte sehen keine Perspektive mehr

Voraussichtlich alle 72 städtischen Kindertagesstätten (KTH) werden morgen für einige Stunden dicht machen. Wenn die Eltern ihre Kinder abliefern wollen, wird sie nur ein Schild erwarten: „Geschlossen wegen Streik!“ Die anstehende Tarifrunde, die heute in Münster beginnt, schürt den Unmut der ErzieherInnen, die seit 20 Jahren nach dem selben Tarif entlohnt werden. Das Faß zum Überlaufen gebracht hat aber die Bruchlandung des 100-Millionen-Mark-Kindertagesstättenprogrammes von Sozialsenatorin Sabine Uhl bei den Haushaltsberatungen des Senats.

Als erste Konsequenz aus der öffentlichen Unruhe hat die Sozialsenatorin das geplante „Überlastprogramm“, das heißt die Aufstockung der Gruppenstärken ohne gleichzeitige materielle Verbesserungen, zurückgezogen, „da die notwendigen Anschlußlösungen weder organisatorisch, noch personell darzustellen sind“, so Uhl in einem Brief an alle KTH-Träger.

Den Aktionswillen der Beschäftigten mindert das jedoch nicht: „Das Überlastprogramm ist zwar vom Tisch, zugleich aber auch die Perspektive für eine qualitative Verbesserung unserer Arbeit“, so Rainer Müller, Personalratsvorsitzender für Bremen- Süd und ÖTV-Kreisvorstandsmitglied.

„Eigentlich hänge ich an diesem Job. Die Arbeit mit den Kindern macht mir Spaß. Aber jetzt, nach elf Jahren, haben sich die Bedingungen derart verschlechtert, daß ich sofort gehen würde, wenn ich könnte“, sagt eine KTH- Erzieherin im Viertel. Arbeitslosigkeit und Drogenabhängigkeit der Eltern, hoher Ausländeranteil in den Gruppen, Sprach- und Verhaltensstörungen, all das soll aufgefangen werden in Kindergartengruppen, in denen in der Regel eine Erzieherin mit 20 Kindern allein ist; wenn sie Glück hat, kommt noch eine Praktikantin dazu.

„Wir bekommen Kinder, denen fehlen elementare Bewegungserfahrungen wie Klettern oder draußen Herumtoben“, erklärt Wilhelm Haase, Stützpädagoge bei der Evangelischen Kirche, die mit 40 Einrichtungen zweitgrößte Kindergartenträgerin ist. „Der Kindergarten ist längst nicht mehr nur eine wünschenswerte Ergänzung zur Familie, sondern ein notwendiger 'Reparaturbetrieb' für familiäre Defizite“, so Haase. Diese Aufgabe könne mit der gegenwärtigen personellen und materiellen Ausstattung aber kaum noch geleistet werden.

Die Arbeit von ErzieherInnen erschöpf sich längst nicht mehr in Spielen und Basteln. Der sozialpädagogische Anteil steigt ständig. „Trotz der erhöhten Anforderungen verdient eine Erzieherin nach drei bis vier Jahren Ausbildung maximal 1.700 Mark netto, ohne jede Aufstiegschancen. Jeder Autoschlosser bringt mehr nach Hause“, bekundet Ilse Wehrmann, Referentin der Evangelischen Kirche für Kindertagesstätten, Solidarität mit den ÖTV-Kolleginnen.

Eine Folge der unattraktiven Bezahlung und der schlechten Arbeitsbedingungen sind massive Nachwuchsprobleme. „Der Markt ist abrasiert. Es ist ganz schwer, noch Kräfte zu bekommen“, bestätigt ein KTH-Leiter aus der Neustadt. Aus den Schulen kommen kaum noch Vorpraktikantinnen nach.

Die Beschäftigten im Kindergartenbereich fordern eine deutliche Höhergruppierung im Tarifgefüge (zur Zeit werden Erzieherinnen nach BAT VIb bezahlt), zehn Prozent mehr Gehalt sowie die Absicherung eines qualifizierten Kindertagesstättenprogramms.

Statt der erhofften Mittelerhöhung vom Senat bekommen sie von ihrer Sozialsenatorin jedoch nur Durchhalteparolen. In ihrem Rundbrief kündigt sie zwar den Ausbau von 2.640 Plätzen bis 1992/93 an, verdeutlicht aber auch, daß die Finanzierung von weiteren, bis 1995 dringend benötigten, 2.000 Plätzen völlig ungesichert ist.

Im übrigen bedeute der Senatsbeschluß, ihr 100-Millionen- Programm abzulehnen, „natürlich nicht das Ende der weiteren fachlichen Diskussion“. Und weiter: „Es bleibt also noch viel zu tun. Was wir uns vorgenommen haben, ist ja auch keine Kleinigkeit, und das Bohren 'Dicker Bretter' fordert Zeit.“ Annemarie Struß-von Poellnitz