»Wir streben eine bürgerliche Mehrheit an«

■ CDU-Oppositionschef Eberhard Diepgen über Koalitionsgerüchte, Speckgürtel und die Chemie zu Walter Momper/ Die CDU möchte ab 1995 ein Bundesland Berlin-Brandenburg/ Ein gemeinsamer Staatsvertrag soll die Zusammenarbeit regeln

taz: Warum haben Sie sich die Chance entgehen lassen, Herrn Momper und seinen Rest-Senat abzuwählen?

Eberhard Diepgen: Wir wählen am Sonntag — da ist jetzt nicht mehr das Parlament gefragt, sondern der Bürger. Eine demonstrative Abwahl von Herrn Momper würde nur die Absicht von AL und SPD kaschieren, nach der Wahl doch wieder eine Regierung zu bilden.

Bei der SPD — nehmen Sie die Äußerungen von Fraktionschef Staffelt — hört sich das anders an.

Sie zitieren nur eine Äußerung. Dagegen stehen die Worte von Hans- Jochen Vogel, von Herrn Pätzold, Frau Schreyer und Frau Volkholz — und letztlich hat sich ja auch Herr Momper deutlich dafür ausgesprochen, daß es auch nach dem 2.12. eine rot-grüne Koalition geben soll. Die SPD versucht im Augenblick zwar, ihre Anhängerschaft mit dem Hinweis zu stabilisieren, sie wolle eine klare Mehrheit für sich allein. Aber das ist doch Pfeifen im Walde.

Durch ihr Fernbleiben von der Abstimmung entsteht der Eindruck, auch die CDU wolle es sich jetzt mit der SPD nicht verderben.

Als CDU-Politiker kann man sagen, was man will: es gibt immer Journalisten, die meinen, man wolle eine große Koalition — selbst wenn man das Gegenteil gesagt hat.

Das haben Sie aber nicht getan.

Wir streben eine bürgerliche Mehrheit an. Unser Traum ist nicht die große Koalition mit dieser sozialdemokratischen Partei. Ich schließe unter demokratischen Parteien Koalitionsbildungen nicht aus. Für die CDU schließe ich sie nur mit PDS, Republikanern und AL aus.

Bleibt nur noch die FDP. Carola von Braun versucht, ihre Partei sozialliberal zu profilieren. Weiß sie schon von Ihren Ambitionen?

Wenn ich mir die Plakate der FDP ansehe, ist das der Versuch, ein linkes Potential anzusprechen. Nach der Wahl von Frau von Braun zur Vorsitzenden hatten wir ein Gespräch über Fragen der parlamentarischen Zusammenarbeit.

Freitag hatten Sie Ihre zentrale Wahlveranstaltung mit dem Bundeskanzler: Waren Sie nicht sehr enttäuscht, daß er Sie in der Hauptstadtfrage so hat hängenlassen?

Ich war deswegen nicht enttäuscht, weil ich die richtige Erwartung hatte. Kohl ist ein geschichtsbewußter Mann, und deswegen bin ich sicher, daß er zum Thema Regierungssitz das richtige Wort zur rechten Zeit vor der neuen CDU-Bundestagsfraktion finden wird.

Sie wollen, daß Berlin und Brandenburg in 5 Jahren ein gemeinsames Bundesland bilden. Sehr spät.

Das ist richtig. Je länger die beiden Länder nebeneinander existieren, desto größere Schwierigkeiten gibt es in der Politik für die Gesamtregion und desto mehr Schwierigkeiten gibt es mit der Auflösung von bereits entstandenen Strukturen.

Warum drücken Sie dann nicht aufs Tempo?

Ich bin Realist und habe mich bei dem Jahr 1995 nur orientiert an der Legislaturperiode. Wir müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre die Grundvoraussetzungen für die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg schaffen. Das reicht von einem gemeinsamen Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht und einem gemeinsamen Arbeitsamtsbezirk bis zu gemeinsamen Tarifgebieten.

Heute sieht es so aus: Ein Unternehmer wirbt qualifiziertes Personal mit der Metropole Berlin, baut aber vor den Toren der Stadt und zahlt dort seine Steuern.

Das ist leider so — wir kennen die Probleme aus Hamburg und Bremen. Ich bedauere zutiefst, daß die politischen Abläufe des Einigungsprozesses nicht die Möglichkeit gegeben haben, über ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg abschließend bereits in diesem Jahr zu entscheiden. Es war aber auch verständlich, daß die Suche nach neuen, länderspezifischen Identitäten im Vordergrund stand.

In den fünf Jahren droht ein Speckgürtel um Berlin. Was tun?

Wir müssen bereits vor der Gründung eines gemeinsamen Landes einen Regionalverband zwischen Berlin und den umliegenden Gemeinden bilden. Und wir müssen kurzfristig einen Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg schaffen, in dem die Fragen über Aufbau und Finanzierung der Infrastruktur sowie der gegenseitigen Nutzung von Einrichtungen geklärt werden.

Was soll da drin stehen: Müssen Bernauer zahlen, wenn ihre Kinder Berliner Schulen besuchen?

Es gibt ja nicht nur Vorteile des Umlandes durch die Nähe zu Berlin, sondern auch umgekehrt. Wenn es hier zu einem Ausgleich kommt, dann geht es um eine Aufteilung der Steuereinnahmen jeweils zwischen Berlin und Brandenburg und die Nutzung dieser Ausgaben für eine Infrastruktur, die beiden Bereichen dient — von Fragen des Umweltschutzes bis hin zum Gesundheitswesen und kulturellen Einrichtungen.

Wen wünschen Sie als Hauptstadt: Berlin oder Potsdam?

Ich bin Brandenburger mit der Heimatstadt Berlin. Und Berlin wird deutsche Hauptstadt und Regierungssitz, Potsdam Hauptstadt von Berlin-Brandenburg.

Wie sieht Ihre politische Zukunft nach dem Wahltag aus: Dürfen wir einen Senator Diepgen unter einem Regierungschef Momper erwarten?

Darüber brauche ich nicht nachzudenken, weil das Wahlergebnis die CDU zur stärksten Kraft macht.

Da müssen Sie im Ostteil aber noch ganz schön aufholen...

Wir sollten uns die Spannung nicht nehmen lassen. Allerdings dürfte der volle Aufholprozeß im Ostteil der Stadt erst bei den nächsten Wahlen abgeschlossen sein.

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Eberhard Diepgen und Walter Momper?

Momper und ich sind vom politischen Stil, von der Arbeitsweise und mehreren Grundsätzen und dem Verständnis von Politik für eine Großstadt grundverschieden. Aber im beruflichen Leben trifft man nicht immer nur auf Menschen und Mitarbeiter mit dem gleichen Stilempfinden.

Die Chemie zwischen Ihnen beiden stimmt nicht?

Sie könnte besser sein.

Was sind Ihre Kriterien für eine große Koalition?

Aus demokratietheoretischen Gründen gibt es Bedenken gegen große Koalitionen überhaupt. Es gibt aber auch die Verpflichtung, gigantische Aufgaben gemeinsam zu bewältigen — und in Berlin gibt es derer viele. Durchaus denkbar, daß Aufgaben nur von einer besonders stabilen Regierung und breiten parlamentarischen Mehrheit geleistet werden können. Das betrifft sowohl die Werbung für einen Standort als auch die Frage, in welchen Konstellationen die beiden noch unterschiedlichen Gesellschaften im Ost- und im Westteil der Stadt zusammengefügt werden können. Interview: Kordula Doerfler/

Axel Kintzinger