Bonbonregen vor der Zentrale der SPD

■ Aktionstag der StudentInnen der Technischen Universität gegen Wohnungsnot und Räumung/ Besetzung der SPD-Landeszentrale mißlungen/ Otto-Suhr-Institut gleichzeitig von Studenten der Freien Universität besetzt

Wedding. Nach dem in der letzten Woche begonnenen Stafettenstreik der StudentInnen der Freien Universität hat die Protestwelle auch die Technische Uni ergriffen. Innerhalb ihres »Aktionstages gegen Wohnungsnot und Räumungen« zogen gestern rund 100 StudentInnen, vor allem der Fachschaftsinitiative Architektur, vor die Berliner SPD-Zentrale in der Müllerstraße. Mit Rufen wie »Wohnungslos muß nicht sein — zieht bei Walter Momper ein« und »Wir wollen rein« verlangten sie Eintritt in das in aller Eile verschlossene Allerheiligste der Berliner SPD. Schließlich sah sich der sozialdemokratische Landesgeschäftsführer Reinhard Roß genötigt, vor den StudentInnen zu erscheinen.

Die DemonstrantInnen, die ihn mit einem friedlichen Bonbonhagel empfingen, forderten angesichts des Wohnungsnotstandes, auch neubesetzte Häuser nicht zu räumen und Neubesetzungen zuzulassen. Roß stellte sich in seinen Erklärungen, die er über Megaphon an die StudentInnen abgab, voll hinter die sogenannte »Berliner Linie«, die Neubesetzungen von leerstehenden Häusern kriminalisiert. »Neubesetzungen«, so Roß mehrmals zu den StudentInnen, »sind illegal.« Doch die protestierenden jungen Leute waren anderer Meinung. »Illegal«, rief ein Student dem SPD-Mann entgegen, »ist es, Häuser leerstehen und verfallen zu lassen. Häuser sind zum Wohnen da, Wohnen ist Menschenrecht!«.

Landesgeschäftsführer Roß versuchte, mit markigen Wahlkampfsprüchen die erhitzten Gemüter zu beruhigen. »Wir haben«, rief er in die bonbonwerfende Menge, »in den knapp zwei Jahren viele Erfolge im sozialen Wohnungsbau erreicht.« Daß es keine Mietpreisbindung im alten Sinne mehr gäbe, sei der CDU/ FDP-Bundesregierung zuzuschreiben. Die SPD wäre immer dafür gewesen, die Mietpreisbindung beizubehalten. Als die StudentInnen ankündigten, demnächst ein Haus zu besetzen, warnte Roß gleich noch einmal: »Neubesetzungen werden nicht zugelassen.« Statt dessen bot er den angehenden ArchitektInnen an, »gemeinsam ein Haus aus(zu)suchen, um dort ein Wohnen nach Ihren Vorstellungen« verwirklichen zu können.

Doch auch dieses durchsichtige Angebot schlugen die StudentInnen aus: »Wir wollen keine Privilegien!« Gegen 15 Uhr zog dann der Protestzug der ArchitekturstudentInnen wieder in Richtung Leopoldplatz ab — nicht ohne vorher noch einmal zu bekräftigen, in Ost-Berlin ein leerstehendes Haus zu besetzen. Vor ihrem Institutsgebäude zimmerten die StudentInnen aus Schnellbauteilen ein löchriges, schiefes Häuschen, das sie Wohnungssuchenden zynisch anboten: »Wohnung zu vermieten, uni-nah, 1.350 DM, Erstbezug, Wasser fließend«.

Durch die gewaltsame Räumung der besetzten Häuser, die die StudentInnen als »blutigen Wahlkampf« verurteilen, hat ihr eigener Kampf um eine bessere Wohnungssituation einen neuen Schub bekommen. »Unsere Solidarität mit den Besetzern in Ost-Berlin und unsere Wohnungsprobleme kann man nicht voneinander trennen«, meint Bernd S. von der Fachschaftsinitiative der Architekten. Der SPD-Senat habe nichts getan gegen die Wohnungsnot in der Stadt. Das von Bausenator Nagel angekündigte 50.000-Wohnungen- Großprojekt in Spandau halten sie für ein Wahlkampf-Windei, da es nicht einmal die Kriterien einer abgesicherten Planung erfülle.

Übergreifenden Charakter jedoch haben die einzelnen Aktionen der StudentInnen anscheinend nicht. Gestern wurde zur gleichen Zeit das Hauptgebäude des Otto-Suhr-Institutes von FU-StudentInnen besetzt. Dozenten und Verwaltungspersonal wurden nicht reingelassen, Lehrveranstaltungen konnten nicht stattfinden. Die StudentInnen hatten es sich in der Pförtnerloge bequem gemacht. Damit setzten sie ihren Stafettenstreik der vergangenen Woche fort. Obwohl sich die Forderungen der FU- und TU-Aktionisten gleichen, hätten sie nicht viel miteinander zu tun, sagt Bernd S. gegenüber der taz. Auch an der TU fordern sie die Einrichtung eines Finanztopfes »Kommunaler Wohnungsbau« und ein Sofort-Instandbesetzungsprogramm für leerstehende Wohnungen. Ähnlich wie 1981, wo binnen zehn Monaten 15.000 von 80.000 Leerstandswohnungen in West-Berlin saniert wurden, könnte jetzt so die Wohnungsnot junger Leute mit wenig Geld behoben werden, meinen die Studenten. Innerhalb von zwei Jahren würden dann 27.000 Wohnungen zur Verfügung stehen. anbau/ok