„News-Channel? Das kaufen wir!“

Die Eurovision plant einen europäischen Nachrichtenkanal/ Internationales Korrespondentennetz als Startkapital/ Kein „Münzfernsehen“ wie CNN/ Berlin als möglicher Standort  ■ Aus Berlin Marina Schmidt

Amerika war schon immer das Land der Superlative: die höchsten Häuser, die größten Autos, die dicksten Steaks. Nach dem schnellsten Essen nun auch noch das schnellste Fernsehen. Höchstes Tempo und Allgegenwart haben den amerikanischen Sender CNN weltweit zur Avantgarde des Fernsehens gemacht. Ob bei den KSZE-Verhandlungen in Helsinki oder in der Golfkrise, der Nachrichtenkanal ist nicht nur dabei, sondern immer vorneweg. Er ist schneller als die üblichen diplomatischen Verfahren. Und für Staatschefs und Geheimdienste deshalb auch unentbehrlich. Vor allem aber ist er bislang konkurrenzlos. Doch das soll bald anders werden. Die Eurovision, ein Zusammenschluß der überwiegend öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Westeuropas, will dem amerikanischen Programm das Spielfeld nicht länger überlassen. Sie plant einen eigenen Nachrichtenkanal, und zwar einen europäischen. Damit will man nicht nur den Amerikanern den Kampf ansagen, sondern auch die bessere Qualität der öffentlich-rechtlichen Information unter Beweis stellen.

Die Voraussetzungen sind günstig. Die Eurovision ist die größte Nachrichtenbörse der Welt. Seit 1961 tauschen die beteiligten TV- Stationen ihre Nachrichtenfilme untereinander aus. Aktive Teilnehmer sind die größten Fernsehanstalten aus Westeuropa, Nordafrika und dem Nahen Osten, hinzu kommen assoziierte Mitglieder aus allen Teilen der Welt. Zu den renommiertesten Mitgliedern des exklusiven Clubs gehören nicht nur die britische BBC, das italienische Fernsehen RAI oder TDF aus Frankreich, sondern auch die japanische Anstalt NHK und die TV-Stationen rund um den Golf. So wurden allein im letzten Jahr knapp 14.000 Nachrichtenfilme produziert, gesammelt, verteilt und ausgestrahlt. Ein eigenes technisches Netz von Leitungen und Satelliten steht genauso zur Verfügung wie ein international gut besetztes Korrespondentennetz.

Die Masse der gesammelten News ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Wurden 1968 zweimal täglich Nachrichtenfilmpakete ausgetauscht, so kann die Genfer Zentrale heute rund um die Uhr die aktuellsten Nachrichten praktisch ohne Zeitverzögerung in bester Bildqualität anbieten und abrufen. Gleichzeitig ist jedoch in fast allen Fernsehanstalten ein deutlicher Rückgang der Informationsprogramme zu verzeichnen. Ohne eine zusätzliche Verwertung sind die kostspieligen Korrespondentenbüros auf Dauer nicht mehr zu halten. Der Gedanke, daß sich neben einem europäischen Butter- und Schweineberg auch noch ein Nachrichtenberg auftürmen könnten, drängt sich da auf. Was liegt also näher als der Euro-News-Channel?

Material, Infrastruktur und Know-how sind reichlich vorhanden. Was zur Zeit noch fehlt, ist Geld. Allerdings sind die Kosten im Vergleich zu anderen Programmen gering. Werden für den ehemals deutsch-französischen und seit jüngster Zeit europäischen Kulturkanal 240 Millionen DM pro Jahr veranschlagt, so rechnet die Eurovision mit einem Jahresbudget von nur 80 Millionen DM für einen 24-Stunden- Betrieb. Davon ist die Hälfte durch die vorhandenen Programmbeiträge bereits gesichert. Einen weiteren Teil des Betrages sollen die Werbetöchter organisieren.

Auch an „kommerzielle Partner“, spricht Sponsoring, haben die Macher gedacht. An Interessenten mangelt es nicht.

„News-Kanal, das kaufen wir. Wieviel kostet das?“, beschreibt Richard Dill, ARD-Auslandskoordinator beim Bayerischen Rundfunk, das Verhalten von Großunternehmen aus der Upper-class. „Dann heißt es halt statt: Coca-Cola bringt das Tennis Turnier, IBM bringt Ihnen den europäischen Nachrichtenkanal.“ Sponsoring und Spotwerbung sollen jedoch zeitlich begrenzt werden, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung nicht zu gefährden, so der bayerische Vertreter des Programms.

Richard Dill ist sich sicher, das Budgetloch bald mit einigen Millionen aus den Förderprogrammen der Europäischen Gemeinschaft stoppen zu können. „Alle Leute, die unentwegt über Europa quatschen, werden jetzt auf die Probe gestellt, ob sie es auch wirklich ernst meinen.“ Das Konzept des Nachrichtenkanals sieht nicht nur eine europäische Redaktion und internationale Programminhalte vor, sondern auch die Übermittlung in fünf oder sechs Sprachen. Die Kosten für die Simultanübersetzer oder Live-Untertitel bei brandaktuellen Ereignissen sollen die europäischen Organisationen übernehmen.

Während andernorts über die Folgen von Informationsüberflutung und die rasante Geschwindigkeitssteigerung bei der Nachrichtenvermittlung diskutiert wird, gehen die Befürchtungen des bayerischen Nachrichtenplaners genau in die andere Richtung. Er sieht den Trend zur Informationsvermeidung, zum oberflächlichen Interesse für die Wirklichkeit. Deshalb soll der Euro- News-Kanal ein Rettungsanker für Intellektuelle und ein Angebot für Multiplikatoren sein.

Das Programmschema ist traditionell: Zur vollen Stunde Nachrichten und Schlagzeilen, dazwischen Korrespondentenberichte und Magazinbeiträge aus den Beständen der Eurovision. Was es nicht gibt, ist ein Ha-Jo-Friedrichs-Effekt, denn das Prinzip des Anchormans ist bei der Übersetzung in mehrere Sprachen nicht machbar. Auf die Frage nach dem amerikanischen Konkurrenzunternehmen CNN reagiert der Mann in München allergisch: „CNN, das sind doch keine Profis, die haben auch keine Leute draußen. Die kaufen doch nur. Wir haben unsere Korrespondenten draußen und müssen nicht bei multinationalen Informationshändlern Material einkaufen.“ Und „Münzfernsehen“ wie die Amerikaner, die pro angeschlossenen Haushalt 25 Cents verlangen, will die Eurovision auch nicht machen. Das Programm wird über den Astra- Satelliten ins Kabel eingespeist und verursacht für den Empfänger keine zusätzlichen Kosten.

Trotzdem denkt man über Kooperationsformen mit den „Amateuren“ aus Atlanta nach. Denn sollten die europäischen Organisationen nicht die notwendigen Gelder locker machen, stehen Verhandlungen mit CNN ins Haus. In Form eines Joint- ventures will dann die Eurovision die europäischen Interessen wahrnehmen und CNN die amerikanischen überlassen. Damit wäre auch der lästige Konkurrent vom Kontinent vertrieben.

So bleibt nur die Standortfrage des europäischen Projektes zu klären. Zu den Bewerbern zählen nicht nur Lyon, Bologna, Sevilla, Sarajewo und Prag. Auch die Berliner Kultursenatorin Anke Martini hat eine Bewerbung eingereicht. Die nominelle Hauptstadt kann neben geographischen Standortvorteilen noch mit einem weiteren Pfund wuchern: Die Kapazitäten des deutschen Fernsehfunks in Adlershof werden sicherlich in absehbarer Zeit für neue Bestimmungen zur Verfügung stehen.