Die Farbe des Taschengeldes

Das Kind in der Werbung — eine Ausstellung im Schweizer Kindermuseum Baden  ■ Von Hubert Spiegel

Die Frage war eindeutig inquisitorischer Natur, und dies war um so schlimmer, als sie von einer unanfechtbaren Autoritätsperson gestellt wurde. Zuversichtlich lächelnd fragte Micky Maus: „Ich trinke Kaba, was trinkst Du?“ Was sollte man darauf antworten? „Nesquick“ vielleicht? Und wie dann Micky jemals wieder in die Augen sehen? Micky vertraute mir, und ich habe ihn nie enttäuscht. Noch heute weigere ich mich zu glauben, Micky könnte gewußt haben, daß man ihn als Großinquisitor der Schokogetränkeindustrie mißbraucht hatte. Micky war manchmal sehr naiv. Wir wußten das zwar, aber die Werbefritzen wußten es auch. Ihre Rechnung ging auf.

Werbefritzen können sehr gut rechnen. Konnten sie immer schon, wie die Ausstellung Kinderwerbung im Schweizer Kindermuseum in Baden bei Zürich zeigt. Neben einem kurzen historischen Abriß der Geschichte der Werbung — über Wandmalereien, Händlerrufe, Schilderwerbung und Flugblätter bis zur Plakatsäule des Berliner Druckers Ernst Litfass, Anzeigenwerbung in Zeitungen und Zeitschriften und schließlich Werbespots in Rundfunk und Fernsehen —, definiert die Austellung die Rolle des Kindes in der Werbung und zeigt die Entwicklung der Kinderwerbung von ihren Anfängen im vorigen Jahrhundert bis heute.

Die Werbung hat in erstaunlicher Weise das Projekt der Aufklärung mit dem Primat der Ökonomie verknüpft. Nicht nur, daß sie dem Konsumenten immer wieder vorgaukelt, sie würde ihn „informieren“, damit er seine Kaufentscheidungen als mündiger Bürger treffen kann, sie hat sich, getreulich der Devise „Wissen ist Macht, und Macht ist Geld“, auch Psychologie und Verhaltensforschung untertan gemacht. Längst gibt die Werbeindustrie eigene Studien in Auftrag. „Alle diese Untersuchungen und Manipulationen“, so Vance Packard in Die geheimen Verführer, „haben ihre konstruktiven und erheiternden Seiten; aber sie bergen auch ernstliche menschenunwürdige Folgerungen. Vieles daran erscheint eher als Rückschritt denn als Fortschritt des Menschen in seinen langwährenden Bemühungen, ein vernünftiges und selbstbestimmtes Wesen zu werden.“

Eindeutige Fortschritte hingegen machen die Bemühungen, bereits den Jüngsten die Groschen aus der Tasche zu ziehen. Das Interesse kommt nicht von ungefähr: Allein das Taschengeld der 750.000 jungen Schweizer zwischen sieben und sechzehn Jahren wird für 1990 auf etwa 200 Millionen Franken geschätzt. Dazu kommen noch einmal weit über 400 Millionen Franken, die Schweizer Eltern jährlich für Kinderspielzeug ausgeben. Dabei spielen Kinder und Jugendliche in der Werbung nicht nur als direkte Konsumenten eine Rolle. Coface, die Familienorganisation der Europäischen Gemeinschaft, unterscheidet drei verschiedene Bereiche der Kinderwerbung: Zielgruppe, Druckmittel und Verkaufsargument. Das Kind ist nicht nur ein gegenwärtiger, sondern auch ein zukünftiger Konsument, und Werbung, in welcher Form auch immer, ist letztlich stets auch Erziehung zum Konsum. Darüberhinaus besteht in der Beziehung zwischen Eltern und Kind natürlich eine Wechselwirkung. Kinder ahmen das Konsumverhalten ihrer Eltern nicht nur nach, sie beeinflussen es auch massiv. Meine Mutter zum Beispiel war Micky gegenüber leider völlig resistent, aber meinen Kaba habe ich dennoch nicht vom Taschengeld kaufen müssen.

Kinder werden immer wieder als Werbeträger und „Rührimpuls“ für die Erwachsenenwerbung benutzt. Das Marie-Meierhofer-Institut für das Kind in Zürich hat anhand einer Stichprobenerhebung über den Erhebungszeitraum von einem Monat festgestellt, daß in 22 Prozent aller Werbespots Kinder eingesetzt wurden. Nur 28 Prozent der Spots warben dabei für Produkte, die nur von Kindern konsumiert werden. 14 Prozent der Spots waren ausschließlich für Erwachsene gedacht. In Deutschland wäre zumindest dieser Prozentsatz der Werbespots verboten. Aber auch bei uns gilt der neunte Grundsatz der UN-Konvention über die Rechte des Kindes nicht allzuviel: „Das Kind wird vor Vernachlässigung, Grausamkeit und Ausnützung jeder Art geschützt. Es ist in keinem Falle Gegenstand eines Handels...“

Der Büromaschinenhersteller Rank-Xerox wirbt für seine Computer mit einer Anzeige, die Mini-Yuppies am Monitor zeigt. Fünfjährige in Nadelstreifen oder Minirock, die laut Anzeigentest 5.000 Gummibärchen im Monat verdienen und Unternehmern einen völlig neuen Personalmarkt eröffnen. Denn die Computer sind „so spielend zu bedienen, daß selbst Jüngst-Yuppies blitzschnell damit ins Geschäft kommen“. Daß die Wirtschaft mit Youngstern aller Art möglichst blitzschnell ins Geschäft kommen möchte, ist dabei gar nicht mal neu. Schon als Aristide Boucicaut 1853 in Paris das erste Warenhaus der Welt eröffnete, gabs für die Kleinen Limonade und bunte Bildchen im „Au bon Marché“.

Wo der Glaube fehlt, wird die Gewöhnung schon für Abhilfe sorgen. Werbung vermittelt eine Grundeinstellung, die fatale Folgen haben kann. Sie suggeriert, daß sich jegliche Probleme durch den Kauf eines entsprechenden Podukts lösen lassen. Unlustgefühlen aller Art wird Konsum entgegengesetzt, und so entsteht schließlich die Gleichung Konsum gleich Wohlbefinden. Jacques Vontobel vom Züricher Pestalozzianum weist in diesem Zusammenhang auf einen gefährlichen Automatismus hin. Wenn Wohlbefinden als durch äußere Mittel beliebig produzierbar erscheint und nicht der eigenen Anstrengung bedarf, „verkümmert die Fähigkeit zur psychischen Selbstregulierung bis hin zum süchtigen Verhalten... es ist das Ergebnis eines langandauernden, fast unmerklich ablaufenden Prozesses, der die Kraft zur Selbststrukturierung des eigenen Lebens lähmt. An diesem Prozeß ist maßgeblich auch die Konsumwerbung mitbeteiligt.“ Daß Suchtverhalten in seinen verschiedenen Formen nicht erst für Jugendliche, sondern zunehmend bereits für Kinder zu einem Problem geworden ist, veranschaulicht eine Untersuchung der Frankfurter Projektgruppe „Rauschmittelfragen“. So hat sich die Zahl der Kinder, denen abhängigmachende Psychostimulantien verordnet wurden, zwischen 1987 und 1989 versechsfacht. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Kinder, die Tranquilizer einnehmen, um vierzig Prozent. Insgesamt haben 1988 in der Bundesrepublik schätzungsweise 900.000 Kinder unter vierzehn Jahren Psychopharmaka eingenommen. Eine vielleicht nicht ganz überflüssige Anmerkung: Werbefernsehen, wie das Fernsehen überhaupt, zählt hier nicht zu den Psychopharmaka. Dennoch hat im vergangeben Jahr der Bremer Bildungsminister Franke ein Fernsehverbot für Vorschulkinder gefordert. Kaum vorstellbar, daß der Mann noch im Amt ist.

Die Ausstellung im Schweizer Kindermuseum in Baden zeigt auch etliche Kaufläden, die als Belohnung für die eifrigen Sammler von Firmenprodukten gedacht waren. Auf einem der Kaufläden, er stammt aus dem Jahr 1940, steht über der kleinen hölzernen Theke in altertümlicher Schrift: „Kauft Maggi's Produkte!“ Die Regale sind wohlgefüllt mit Fläschchen, Döschen und Schächtelchen. Alles zusammen bekamen die Kinder für 2.400 Sammelpunkte. Adorno bezeichnete in Minima Moralia, seinen „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, das Spiel der Kinder als ihre Gegenwehr gegen den Prozeß der Verdinglichung. Spiele, so schreibt Adorno, „sind bewußtlose Übungen zum richtigen Leben“. Kinderwerbung ist ein Vorspiel zum bewußtlosen Leben. Adornos Bemerkungen finden sich übrigens unter dem Stichwort „Kaufmannsladen“.

Die Ausstellung Kinderwerbung im Schweizer Kindermuseum Baden bei Zürich ist bis zum 31.Dezember 1991 zu sehen. Das Museum ist mittwochs und samstags von 14 bis 17 Uhr, sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Oelrainstraße 29, CH-5401 Baden