KOMMENTAR
: Auch Personal gehört zur Substanz

■ Die Reichsbahn darf nicht auf das Bundesbahn-Niveau herunterrationalisiert werden

Daß die Reichsbahn effektiv arbeitet, daß sie als leistungsfähiges Dienstleistungsunternehmen den Bahnkunden die Wünsche von den Augen abliest und sich als Alternative für den explodierenden Autoverkehr in den Ländern der ehemaligen DDR anbietet, wird im Ernst nicht einmal die Gewerkschaft der Eisenbahner behaupten wollen. Die Reichsbahn ist marode bis auf die Knochen. Ihre technische Substanz ist in einem erbärmlichen Zustand, und wenn es in den neuen Bundesländern dennoch bis vorgestern einen halbwegs geregelten Bahnverkehr gegeben hat, ist dies vor allem dem Improvisationstalent und dem in Deutschland West wie Ost besonders ausgeprägten Pflichtbewußtsein der Eisenbahner zu verdanken. Die Reichsbahn muß von Grund auf rationalisiert werden, wenn dieses Unternehmen und mit ihm die dort Beschäftigten eine Zukunft haben sollen.

Die Art, wie diese Aufgabe jetzt angegangen wird, läßt jedoch nichts Gutes ahnen. Hochgeschwindigkeitsbahnen auf der einen, Massenentlassungen auf der anderen Seite — alles deutet darauf hin, daß die Reichbahn auf das Niveau der Bundesbahn herauf- oder auch herunterrationalisiert werden soll: Konzentration auf wenige hochmodernisierte Strecken, Rückzug aus der Fläche, aus der personalintensiven, nach ökonomischen Kriterien gar nicht rentabel zu betreibenden Dienstleistungsaufgabe. Natürlich muß die Reichsbahn Personal entlassen, in einem Maße, wie es der Gewerkschaft nicht schmecken kann. Aber es kann dabei gar nicht allein um die Interessen der Reichbahner gehen. Denn es besteht die Gefahr, daß damit auch gleichzeitig die Chance verspielt wird, die Eisenbahn wenigstens in den Ländern der ehemaligen DDR als ökologische Alternative zum Autoverkehr zu erhalten.

Das Beispiel Bundesbahn ist erschreckend. Die DB wurde in den letzten Jahren so herunterrationalisiert, daß sie gegenwärtig als Träger einer ökologischen Wende in der Verkehrspolitik nicht zur Verfügung steht. Verspätungen sind nicht die Auzsnahme, sondern die Regel. Das Personal wurde soweit abgebaut, daß der Betrieb bereits auf dem heutigen Niveau nicht mehr reibungslos aufrechterhalten werden kann. An einen aus ökologischen Gründen dringend notwendigen Ausbau des Schienenverkehrs in Quantität und Qualität ist in Westdeutschland allein deshalb nicht zu denken, weil es die Arbeitskräfte dazu nicht gibt. Soweit darf es bei der Reichsbahn nicht kommen. Auch qualifiziertes Personal gehört zu der Substanz, die man nicht verspielen darf, wenn die Option auf eine andere Verkehrspolitik offengehalten werden soll. Martin Kempe