: Anne Klein: „Ich hätte gerne noch ein Jahr weiterregiert“
Bis zur einseitigen Aufkündigung der rot-grünen Koalition saßen sie 19 Monate auf dem Chefsessel: die drei AL-Senatorinnen Michaele Schreyer, Sibylle Volkholz und Anne Klein/ Verschwinden nach ihrem Abzug jetzt die von ihnen geplanten, aber noch nicht durchgesetzten Vorhaben in den Papierkorb? ■ Von Andrea Böhm
Der rot-grüne Wanderpokal ist nach Niedersachsen weitergereicht worden, in Berlin haben ein paar Altlinke eine Flasche Sekt verloren, weil sie auf den Fortbestand der Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode gewettet hatten. Die ist nach dem Koalitionsbruch durch die Alternative Liste bis zu den Wahlen am 2.Dezember nun um drei Senatorinnen ärmer. Zwei von ihnen, Ex-Umweltsenatorin Michaele Schreyer und Ex- Schulsenatorin Sibylle Volkholz, haben sich übergangslos in den Wahlkampf gestürzt. Schreyer kandidiert auf Platz zwei der AL-Liste, Volkholz auf Platz vier.
Eine über den Ausstieg grenzenlos enttäuschte Michaele Schreyer saß beim Abschiednehmen den Tränen nahe neben Sibylle Volkholz, die wie sie gegen die Aufkündigung der Koalition gestimmt hatte. Einzig Anne Klein hatte den Bruch als konsequent bezeichnet, im Nachhinein jedoch betont, „daß ich sehr gerne noch ein Jahr weiterregiert hätte.“
Mit dem Etikett „erste feministische Senatorin“ in der damals noch westdeutschen Geschichte war die 40jährige Anwältin Klein mit den größten Erwartungen in die Legislaturperiode geschickt worden. In der Euphorie über eine der „ihren“ im Senatorinnensessel übersah vor allem die autonome Frauenbewegung, daß Anne Klein in mehrfachem Sinne ein typisches Frauenressort übernommen hatte: unzählige soziale Konfliktfelder auf dem Schreibtisch, zu wenig Geld in der Kasse, zu wenige Kompetenzen im Senat.
Als feministische und offen lesbische Senatorin war sie von Beginn an die angreifbarste im rot-grünen Kabinett. Männerfeindlichkeit wurde ihr ohnehin pauschal attestiert. Daß sie „mit Familienpolitik ja wohl nichts am Hut“ haben könne, darüber witzelte man mehr oder weniger verhohlen vor allem in der CDU. Allerdings bot sie auch reichlich Angriffsfläche. Von politischen Vorstößen war in den ersten Monaten nicht viel zu merken, vermeintliche Skandale überschatteten die erste Hälfte ihrer Amtszeit. Ein Aufschrei der Empörung bei der Union wegen ihrer Teilnahme am sogenannten Pilotenspiel zwang in der Sommerpause 1989 nicht nur die Senatorin selbst, sondern auch den Regierenden Bürgermeister Momper, den Urlaub zu unterbrechen. Kaum waren die Rücktrittsforderungen verhallt, erhob eine ehemalige Mandantin öffentlich den Vorwurf des Parteienverrats, der sich erst Monate später als null und nichtig herausstellte.
Politische Konturen wurden erst gegen Ende ihrer Amtszeit sichtbar. Sie setzte sich für eine Liberalisierung der Drogenpolitik ein und forderte öffentlich, Fixern legale Räume zum „Drücken“ zu schaffen. Auch an der SPD-Bundesratsinitiative zum Paragraphen 218 war sie beteiligt.
Das in den Berliner Koalitionsvereinbarungen angekündigte Landesantidiskriminierungsgesetz wurde von ihr, wenn auch spät, auf den parlamentarischen Weg gebracht und wird nun trotz Verzögerungstaktik des CDU-Parlamentspräsidenten Wohlrabe vermutlich doch noch vor den Wahlen verabschiedet. Jetzt brüstet sich damit sogar Walter Momper im Wahlkampf.
Fehlende Erfahrung, aber auch Fehleinschätzungen führten zur wohl schmerzlichsten politischen Niederlage ihrer Amtszeit während des Streiks Berliner ErzieherInnen um einen Tarifvertrag. Nach zehn Wochen Arbeitskampf gaben die Streikenden — vor allem Frauen — auf: zermürbt von der beinharten Haltung Mompers und seiner SPD.
Als Jugend-und Familiensenatorin nominell zuständig für die Kindertagesstätten fand Klein während des Konflikts keine klare Linie, forderte mal auf Drängen Mompers die ErzieherInnen zum Streikabbruch auf, um sich dann später mit deren Forderungen zu solidarisieren.
„Guten Willen, aber keine Durchsetzungsstrategie“ bescheinigte ihr denn auch Erhard Laube, Vorsitzender der Berliner Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaften (GEW). Die Unterstützung ihrer einzigen potentiellen Lobby blieb aus: die autonome Frauenbewegung demonstrierte eindrucksvoll ihre Politikunfähigkeit, und tat so, als ginge sie der Streik nichts an.
Auch die Amtszeit der Ex-Schulsenatorin beurteilte der GEW-Vorsitzende mit gemischten Gefühlen, obwohl Sibylle Volkholz aus dem eigenen Stall kommt. Für die Ausweitung des zweisprachigen Unterrichts und die Verankerung der gemischten Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern im Schulgesetz kommt zwar ungeteiltes Lob, denn damit, so Laube, habe sie „bildungspolitische Pflöcke“ eingeschlagen.
Scharfe Proteste setzte es dagegen, als sie wegen steigender SchülerInnenzahlen im vereinigten Berlin die Klassenfrequenzen erhöhte. Zwar konnte Volkholz dem Finanzsenator einen satten Ausbau von LehrerInnenstellen abhandeln und den Abbau von 2.000 Stellen in den Jahren 1981 bis 1989 wieder ausgleichen. Allerdings läßt der erwartete Zuwachs von 28.000 SchülerInnen in den nächsten vier Jahren sämtliche Rechnungen aus den Zeiten vor der Grenzöffnung wieder obsolet erscheinen.
Die Erhöhung der Klassenfrequenzen wertet Laube als „unverzeihliche Sünde“, auch wenn er der Ex-Senatorin erschwerende Finanzbedingungen zugesteht. Zum Einschlagen rot-grüner Bildungspflöcke im Ostteil der Stadt reichte die Zeit nicht mehr. „Da hätte sie noch ein Jahr im Amt bleiben müssen“, sagt Laube.
Zur alternativen Hoffnungsträgerin im Wahlkampf hat sich zweifelsohne Michaele Schreyer entwickelt — auch ohne Sitz im Senat. Ausgestattet mit einer loyalen und engagierten Verwaltung verschaffte sie dem kleinen Koalitionspartner am meisten Profil, was ihr nicht nur Umweltschützer und Stadtplaner zugute hielten, sondern auch Feministinnen.
Als einzige habe sie öffentliche Streits „mit mächtigen Männern um die Verteilung der Ressourcen und die Pointierung der Senatspolitik“ inszeniert, konstatierte Hannelore May von der „Berliner FrauenfrAktion“ in einem Resümee. Ihr Widerstand gegen den SPD-Bausenator Wolfgang Nagel und die von ihm forcierte Ansiedlung von Daimler-Benz am Potsdamer Platz gingen vielen in der AL zwar nicht weit genug, doch sie zettelte zumindest eine öffentliche Debatte über die Berliner Stadtplanung an.
Mit Hartnäckigkeit und Selbstbewußtsein stemmte sich die Umweltsenatorin bis zum Schluß gegen die Inbetriebnahme des atomaren Forschungsreaktors des Hahn-Meitner- Instituts, obwohl Forschungsminister Riesenhuber in Bonn mit Geldentzug drohte und Momper kurzzeitig sogar erwog, der Senatorin die Kompetenz zu entziehen. So viel Konfliktbereitschaft verschaffte ihr selbst in der Springer-Presse lobende Worte. „Die Frau, die Walter Momper in die Knie zwang“, titelte 'Bild‘ anerkennend.
Die Ex-Senatorinnen befürchten nun, daß geplante, aber noch nicht abgestimmte Vorhaben in den Papierkorb wandern. So hatte Anne Klein zum Beispiel dem Finanzsenator Meisner noch das Versprechen abgenommen, daß das Familiengeld auch für alle Ostberliner Kinder, die nach dem 3.Oktober 1990 zur Welt kamen, gezahlt wird. „Ich hoffe, er hält sich dran.“
In Anspielung auf den HMI-Reaktor gab Michaele Schreyer ihrem kommissarischen Nachfolger, dem Finanzsenator, den Ratschlag auf den Weg, das Atomgesetz in seiner Schutzfunktion konsequent anzuwenden, auch gegenüber Herrn Töpfer. Im übrigen hoffe sie auf eine „pflegliche Behandlung des Ressorts, vielleicht ist es ja nur eine Unterbrechung meiner Amtszeit“. Die Bitte verhallte ungehört.
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