INTERVIEW
: "Es gibt einen ganz großen Frust"

■ Ein halbes Jahr nach dem Abbruch des großen Berliner Kita-Streiks: Neues Bewußtsein und Resignation

Zehn Wochen lang haben im Frühjahr die Berliner Erzieherinnen gestreikt. Marita Melzer war damals Personalrätin und Mitglied in der Tarifkommission der ÖTV. Heute ist sie Leiterin einer Kita in Neukölln.

taz: Zehn Wochen Kita-Streik in Berlin, was ist dabei rausgekommen?

Marita Melzer: Nicht das, was wir uns erhofft hatten. Wir haben zwar erreicht, daß 248 Erzieherinnen in ganz Berlin zusätzlich eingestellt worden sind. Leider hat der Senat die Stellen aber aus anderen Bereichen wieder abgezogen. Andere mußten bluten, und wir haben was dazugekriegt, weil wir halt so einen Druck gemacht haben.

Wir haben später nochmal einen Tag gestreikt, weil wir statt eines Tarifvertrages über die Personalausstattung ein Kita-Gesetz bekommen sollten. Wir haben das zwar verhindert, aber es sieht nicht so aus, als wenn wir den geforderten Tarifvertrag kurzfristig noch bekommen werden.

Woran liegt es, daß es für Erzieherinnen so schwierig ist, sich durchzusetzen?

Herr Momper hat damals deutlich gesagt: Wenn er sich jetzt per Tarifvertrag festlegen müßte, wieviel Personal in den Kitas arbeiten muß, dann könnte er nicht mehr frei bestimmen, wo er wieviel Leute einsetzen will. Wir würden ihm also in seine Macht reinpfuschen. Und das will er nicht.

Hat der Mißerfolg auch damit zu tun, daß die ÖTV den Streik nur halbherzig angegangen ist?

Ich glaube, man hätte noch mehr Bereiche dazu ermuntern sollen, sich mit uns solidarisch zu erklären. Das haben wir uns damals sehr gewünscht, und die Kolleginnen waren sehr enttäuscht, daß zum Beispiel die Müllabfuhr oder die Verkehrsbetriebe nicht mit eingestiegen sind.

Aber es lag auch daran, daß es in einem Frauenbereich, wie es der Kita-Bereich ist, nicht so sehr viel Erfahrung mit Streiks dieser Dimension gab. Wir haben immerhin den längsten Streik geführt, den es im Berlin der Nachkriegszeit gab.

Der Streik liegt jetzt ein halbes Jahr zurück. Hat sich seitdem das Bewußtsein der Erzieherinnen verändert?

Ja, die Erzieherinnen nehmen ihre Arbeit sehr viel bewußter wahr. Sie machen viele Dinge nicht mehr so selbstverständlich. Wenn es gilt, für die Gruppen einzukaufen oder mal länger zu arbeiten, ohne dafür Überstunden zu berechnen oder alles, was man immer so aus reinem sozialen oder menschlichem Engagement gemacht hat, dann sieht man jetzt schon eher, daß das etwas mit der eigenen Arbeitskraft zu tun hat.

Zum Beispiel werden Elternabende nicht mehr spät Abends gemacht, sondern mehr auf den Nachmittag gelegt. Da hat sich einiges an Bewußtsein verändert.

Hat es nach dem Streikabbruch nicht auch Resignation gegeben?

Ja, es gibt einen ganz großen Frust. Es gibt auch Austritte aus der Gewerkschaft, weil die Kolleginnen maßlos enttäuscht sind, daß fast gar nichts bei dem Streik herausgekommen ist. Da gibt es ganz viel Resignation und auch Wut.

Auch jetzt noch, ein halbes Jahr später?

Ja. Im Moment gibt es auch überhaupt keine Bereitschaft mehr, noch einmal einen Streik zu versuchen. Manchen Kolleginnen kann man mit Gewerkschaft überhaupt nicht mehr kommen, so sauer sind die. Fragen: Dirk Asendorpf