»Rot-Grün ist viel schwieriger geworden«

■ Interview mit der Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidatin der AL, Renate Künast, über die Wahlaussichten ihrer Partei, Perspektiven für Rot-Grün und die Zusammenarbeit mit dem Bündnis 90 in der neuen gemeinsamen Fraktion

taz: Frau Künast, glauben Sie, daß die Wahlchancen der AL sich nach Ihrem Ausstieg aus der Koalition verbessert haben?

Renate Künast: Das ist wirklich eine Glaubensfrage, wissen kann das niemand im Moment. Bei der Entscheidung für den Austritt hat das jedenfalls keine Rolle gespielt.

Der Eindruck konnte aber entstehen, zwei Wochen vor der Wahl...

Ja, das wird uns immer wieder vorgeworfen, aber in der Fraktionssitzung hat diese Überlegung keine Rolle gespielt. Es gab höchstens Redebeiträge, in denen gesagt wurde, daß wir das so kurz vor der Wahl gerade nicht tun können. Da kam doch nur das randvolle Faß zum Überlaufen. Und es stellte sich ganz konkret die Frage, ob wir das noch nach außen vertreten können. Meine Position ist: Es mußte so sein, ohne Rücksicht auf das Wahlergebnis.

Nachdem das Faß zum Überlaufen gekommen ist: Gibt es nach den langwierigen Auseinandersetzungen mit der SPD überhaupt noch eine Perspektive für Rot-Grün?

Die Perspektive gibt es theoretisch auf alle Fälle; praktisch wird es natürlich von Mal zu Mal schwieriger. Es hat ja schon vor dem Bruch eine SPD-Wahlkampfstrategie gegeben, sich von AL und CDU auf Äquidistanz zu halten. Das ist doch nicht nur Taktik, sondern auch eine inhaltliche Aussage gegen Rot-Grün. Aus diesem Grund ist der Bruch für die Perspektiven nicht das Entscheidende, auch wenn er in der öffentlichen Wahrnehmung eine zentrale Rolle spielt.

Wenn die AL verhandelt, was würde sie anders machen?

Ein entscheidendes Feld ist die gesamte Stadtplanung, die für die neunziger Jahre vielleicht wichtiger ist als je zuvor. Hier würden wir eine hohe Hürde setzen: Die SPD müßte zurück zu den Positionen, die sie vor der Einheit vertreten hat. Es muß festgeklopft werden, was eine wirklich andere Planungskultur bedeutet, was man sich in der Stadtentwicklung vorstellt.

In Ihrer Wahlplattform hat die AL fixiert, sie werde, wenn es eine rechnerische Mehrheit gibt, wieder mit der SPD verhandeln. Hat sich das durch den Ausstieg und durch die harschen Reaktionen seitens der SPD etwa bei den Staatssekretären geändert?

Es bleibt bei dieser Aussage — die könnte für die zukünftige Politik auch nur durch eine Mitgliedervollversammlung aufgehoben werden. Wir haben aber bei dieser Entscheidung schon Kriterien aufgestellt: etwa Demokratie, Stadtplanung, Umgang mit Flüchtlingen und ImmigrantInnen — und die bleiben natürlich bestehen. Ich sehe aber mit verstärktem Interesse, wie mein Kollege Staffelt, der uns immer wieder vorwirft, wir seien nicht regierungsfähig und hätten ein indifferentes Verhältnis zur Gewalt, jetzt die Chancen beschreibt.

Vor der letzten Wahl hat Momper auch gesagt, mit Ihnen werde er keine Koalition eingehen.

Ja, aber das kann man doch nicht alle Jahre wieder machen oder nächste Woche alles vergessen. Ich sehe insgesamt auch, daß es viel schwieriger geworden ist, aber nicht nur wegen der Mainzer Straße, sondern wegen des gesamten Jahres 1990.

Es wird zwei ganz zentrale Punkte geben, die die SPD fordern wird: Das ist eine eindeutige Haltung zu Olympia und zum Regierungssitz. In den letzten Monaten hat die AL hier nicht gerade durch Eindeutigkeit geglänzt. Wird das in Zukunft anders sein?

Ja, das ist das besonders Schwierige an diesen beiden Punkten: Das sind keine Altlasten aus früheren Regierungen, sondern das sind unsere eigenen rot-grünen Altlasten. Bei der Olympiafrage bleiben nur noch kosmetische Korrekturen. Hinsichtlich des Regierungssitzes hat sich die Mitgliedervollversammlung zu einem verhaltenen und nicht begeisterten Ja bekannt, und daran hat sich auch nichts geändert. Da ist dann die Frage, wie das ausgestaltet wird. Unserer Vorstellung nach darf dann nicht alles nach Berlin, sondern es muß eine Debatte im Sinne des Föderalismus geführt werden, wie man Institutionen verteilt.

Aber die Konflikte wären doch programmiert?

Das sehe ich auch so. Aber wir sind hier wieder beim zentralen Feld der Stadtentwicklung angekommen. Das Problem bei Olympia und beim Regierungssitz ist, daß — wenn wir überhaupt beides bekommen — wir die Entscheidungshoheit aus der Hand geben. Bei Olympia wird das IOC, beim Regierungssitz werden die Regierung und der Bundestag viel zu sagen haben, und das ist doch ein Problem! Um so entscheidender ist die Frage, welche Autobahnen gebaut werden und daß die Buga in der Stadt bleibt.

Die AL wird nach den Wahlen mit dem Bündnis 90 eine gemeinsame Fraktion bilden, ohne daß inhaltliche Konzepte erarbeitet worden wären. Sind da nicht die nächsten großen Konflikte in Sicht, etwa auch über die Frage einer Regierungsbeteiligung?

Die Divergenzen sind bei uns nicht größer als bei der SPD oder den anderen Parteien. Nur ist bei uns der Umgang ein anderer, und wir tragen das auch mehr nach außen. Im Gegensatz zu den etablierten Parteien haben wir bereits vor dem 9. November 1989 mit vielen Leuten und Gruppen zusammengearbeitet, und aus dieser Zeit gibt es viele gemeinsame politische Ansatzpunkte. Jetzt treffen hier zwei aufeinander, die einen unterschiedlichen Politikstil haben, aus einer anderen Republik kommen, selber eine Politikform ausprobiert haben, und all das tritt bei uns offen zutage. Darüber hinaus wollten wir nicht so vereinnahmen wie alle anderen, sondern wir wollten, daß das alte Bündnis 90 wieder zustande kommt. Nur so ist aus unserer Sicht gewährleistet, daß zwei eigenständige Partner eine gemeinsame Fraktion bilden.

Also alles eitel Sonnenschein?

Nein, natürlich gibt es auch Probleme. Ich fürchte, wir werden regelmäßig fast so etwas wie interne Koalitionsverhandlungen führen müssen. Aber da können doch beide Seiten etwas voneinander lernen...

Verhandlungen mit der SPD werden dadurch nicht gerade leichter.

Darauf können wir jetzt keine Rücksicht nehmen.

Wirklich nicht?

Wir können jetzt noch gar nicht einschätzen, welche Haltung die Ost- gruppen zu einer möglichen Regierungsbeteiligung haben. Aber es gibt dort natürlich Leute, die aus ihrem Demokratieverständnis heraus schon mit dem Parlamentarismus ihre Schwierigkeiten haben.

Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß die SPD mit Ihnen über Sinn und Unsinn des Parlamentarismus diskutieren wird — auch wenn es ihr guttäte?

Auch die SPD wird in ihrer neuen Fraktion solche Diskussionen mit den Ostlern führen müssen. Insofern ist das gar nicht so absurd, wie es sich zunächst anhört. Nur trägt die SPD solche Konflikte anders aus.

Ist es vorstellbar, daß sich an der Frage der eventuellen Regierungsbeteiligung die Geister scheiden?

Nein, ich halte es für politisch unvorstellbar, daß es dann eine Entscheidung sozusagen entlang der alten geographischen Mauer gibt. Interview: Kordula Doerfler