Was macht Ayse in der Wahlkabine?

■ »SOS Rassismus«: Wahlrecht an ImmigrantInnen abtreten/ WählerInnen dürfen Vertrauenspersonen mit in die Wahlkabine nehmen — und die müssen nicht deutsch sein

Berlin. Her mit den Wahlzetteln: Aus Protest gegen die Ausgrenzung von ImmigrantInnen und Flüchtlingen hat »SOS Rassismus« gestern Wahlberechtigte in Berlin aufgefordert, ihr Wahlrecht solidarisch an ImmigrantInnen abzutreten. Mit dieser Aktion befinden sich die InitiatorInnen selbstverständlich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, denn wie das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe erst kürzlich wieder bestätigte, darf nur wählen, wer deutsch ist.

Sowohl das Bundeswahlgesetz als auch die Wahlordnungen des Landes und des Bundes erlauben den WählerInnen allerdings, unter bestimmten Voraussetzungen eine Vertrauensperson mit in die Kabine zu nehmen. Dann nämlich, wenn — laut Paragraph 33 Absatz 2 des Wahlgesetzes — der Wähler »des Lesens unkundig oder durch körperliche Gebrechen behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen, in den Umschlag zu legen, diesen dem Wahlvorsteher zu übergeben oder selbst in die Wahlurne zu legen«.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in seiner jüngsten Entscheidung zum kommunalen AusländerInnenwahlrecht zwar eindeutig eine rein deutsches Wahlvolk vorgeschrieben. Allerdings haben die höchsten Richter sträflicherweise versäumt, ihre monokulturelle Definition auch auf die Vertrauenspersonen auszudehnen. Die dürfen türkisch, rumänisch, indisch, äthiopisch, mongolisch, australisch, turkmenisch, japanisch oder sonstwas sein.

Behinderungen können bekanntermaßen sehr kurzfristig auftreten; zum Beispiel in Form von plötzlichen Sehstörungen durch verblitzte Augen oder beidseitige schwere Bindehautentzündung; durch ungenügende Schlagtechnik beim samstäglichen Volleyballspielen (Folge: zwei eingegipste oder bandagierte Daumen); zu den Risikogruppen zählen auch WählerInnen mit zu hohem oder zu niedrigem Blutdruck, die nach einem Kreislaufkollaps in der Wahlkabine gestützt werden müssen; der Schicksalsschläge gibt es viele und die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Wer also von einer kurz- oder langfristigen Behinderung betroffen ist, und seinen BürgerInnenpflichten unmöglich ohne Beistand nachkommen kann, kann sich heute und morgen ab 17 Uhr bei SOS-Rassismus, c/o IAF, Oranienstraße 34, 1000 Berlin 36 oder ebenfalls ab 17 Uhr unter der Telefonnummer 653499 anrufen (wer aus Ost-Berlin anruft, muß 849 vorwählen). Die MitarbeiterInnen werden gerne bereit sein, Vertrauenspersonen aus aller Herren und Damen Länder zu vermitteln, die die Hilfsbedürftigen sicher und zuverlässig bis zum Stimmzettel geleiten werden. Was dann in der Wahlkabine passiert, unterliegt selbstverständlich dem Wahlgeheimnis. anb