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Strategie der Spannung auch in Spanien

■ Der spanische Abgeordnete der Linkskoalition Izquierda Unida, Antonio Romero: Sozialistische Regierung vertuscht „Gladio“-Verbindung INTERVIEW

taz: Von Leopoldo Calvo Sotelo, Ministerpräsident 1981-1982, über Fernando Moran, Verteidigungsminister der Sozialisten 1982-85 bis zu Narcis Serra, seinem derzeitigen Nachfolger, will niemand etwas von einer Struktur wie „Gladio“ gewußt haben. Für das frankistische Spanien wiederum behauptet Sotelo, damals sei so etwas wie „Gladio“ nicht nötig gewesen, denn das Regime selbst habe die Funktion von „Gladio“ ausgeübt.

Antonio Romero: Ich teile diese Auffassung. Doch umgekehrt brauchte „Gladio“ das spanische Regime für seine Infrastruktur, für logistische Unterstützung und Mitarbeit bei seinen Plänen auf europäischer Ebene. Wahr ist, daß „Gladio“ sonst in Europa geheim operierte, während es in Spanien am hellichten Tag mit Unterstützung einer faschistischen Diktatur agierte, die seine antikommunistischen Ziele teilte. Zum Beispiel werden zur Zeit in Italien und anderen Ländern Schlupflöcher mit Waffen und Sprengstoff entdeckt, in Spanien standen die Garnisonen des frankistischen Heeres zu ihrer Verfügung. Ich war kürzlich in Belgien und habe mit dem Ex-Geheimagenten Andre Moyen gesprochen, der ein Schwergewicht im westeuropäischen Geheimdienst darstellt. Der berichtete mir, er habe von der Existenz von „Gladio“ bzw. vom Versuch, es aufzubauen, erstmals in Frankreich im Jahr 1947/48 erfahren ... Später hat er zwei Militärs der Abteilung „2A“ des spanischen militärischen Geheimdienstes nach „Gladio“ gefragt und ob man in Spanien auf eine sowjetische Invasion vorbereitet ist, und diese beiden gaben zu, daß die spanischen Geheimdienste in dieser Richtung arbeiten und kollaborieren. In den fünfziger Jahren nahm er dann in Katalonien Kontakt mit einem befreundeten holländischen Konsul, einem Herrn Lanzman, auf. Der brachte ihn mit dem Vorsitzenden der Textilfabrik „La Seda“, die einem multinatinalen Konzern gehört, in Kontakt, der eine auf Kampf gegen Kommunismus, Anarchismus und Separatismus spezialisierte Gruppe von „Gladio“ in Katalonien koordinierte ... Moyen sagt, daß die spanischen Geheimdienste in Kollaboration mit „Gladio“ auch die Streiks der asturischen Minenarbeiter 1958 überwachten (die das frankistische Regime zum ersten Mal mit einer Massenbewegung konfrontierten, Anm. d. Red.) sowie baskische Unabhängigkeitsgruppen.

Waren alle an diesen Operationen Beteiligten Spanier?

Das waren Spanier, die ihre Informationen an „Gladio“ weitergaben. Ein italienischer General, Chef des Geheimdienstes, hat erklärt, daß Spanien möglicherweise für „Gladio“ bestimmte Dienste leistete, ohne jedoch dessen Koordinationskomitee bei der Nato anzugehören, aufgrund des Vetos der Italiener. Die Beziehungen zwischen dem spanischen und dem italienischen Geheimdienst waren sehr schlecht — sehr gute Beziehungen hingegen bestanden zu italienischen Rechtsextremisten, die Spanien als Rückzugsort benutzten, z. B. nachdem sie Attentate in Italien verübt hatten. In der Übergangszeit vom Frankismus zur Demokratie geschahen in Spanien schwerwiegende Dinge, wie das Massaker in der Madrider Atocha-Straße.

Läßt sich das Atocha-Massaker mit der Strategie der Spannung in Italien vergleichen?

Genau. Man darf nicht vergessen, daß dabei fünf kommunistische Anwälte, Mitarbeiter der geheimen Gewerkschaftsbewegung Comisiones Obreras, ermordet wurden. Es gab damals eine große Angst, daß wenn erst einmal die Franco-Diktatur verschwunden wäre, ein demokratisches Spanien einen Aufschwung der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaft Comisiones Obreras mit sich bringen würde. Darüberhinaus war es eine Provokation, damit die Mitglieder der KP und der Comisiones Obreras auf den friedlichen Dialog und einen demokratischen Übergang verzichten und dieses Massaker als Aufforderung zur Gewalt interpretieren.

Moyen sprach über die vierziger und fünfziger Jahre, jedoch nicht über die Zeit nach Franco ...

Ich glaube, er weiß mehr, als er sagt. Die Transition ist in Spanien ein sehr heikles Thema. Es gibt eine Menge ungeklärte Dinge.

Glauben Sie, daß sich die spanische Regierung ausreichend für die Aufdeckung der spanischen Verbindung mit „Gladio“ einsetzt?

Nein. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung versucht, die Verwicklung Spaniens in „Gladio“ zu vertuschen. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Daß man verhindern will, daß im Zusammenhang mit „Gladio“ Namen von Personen bekannt werden, die heute hohe militärische Ämter oder andere Posten einnehmen.

Interview: Antje Bauer

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