Was nun Irak?

■ Zurückziehen, abwarten oder Israel angreifen DEBATTE

Mit der elften UN-Resolution gegen die irakische Okkupation Kuwaits hat die Weltorganisation nunmehr auch eine militärische Befreiung des Ölscheichtums völkerrechtlich legitimiert. Sämtliche Bemühungen um eine politische Lösung des Golfkonflikts waren in den vergangenen vier Monaten an der kategorischen Weigerung Iraks gescheitert, sich jemals aus Kuwait zurückzuziehen. Kuwait sei nun mal nicht verhandlungsfähig, weil unabdingbarer und ewiger Bestandteil des Iraks. So zeigt sich die irakische Führung auch jetzt wieder unbeeindruckt von einer vereinten Weltregierung und erklärte, daß sie dem Ultimatum nicht nachkommen werde.

Die Weltmächte fürchten, sie könnten ihr fragiles Bündnis nicht ein bis zwei Jahre zusammenhalten

Schon Mitte November hatte Iraks Informationsminister Dschassem unterstrichen, daß man lieber einen Krieg in Kauf nehme, als Kuwait aufzugeben. Nicht zuletzt aufgrund dieser Unnachgiebigkeit gehen die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat inzwischen davon aus, daß auch hunderte oder gar tausende von irakischen Toten in Folge des Embargos nicht zu einem Rückzug des Iraks führen würden. Denn wer einen verheerenden und opferreichen Krieg mit der größten Armada der Welt nicht scheut und sogar an den moslemischen Endsieg glaubt, der wird schwerlich wegen einiger hungernder Mägen auf Kuwait und seine Ölmilliarden verzichten. Dies umso weniger, als es keinerlei Anzeichen dafür gibt, daß die Versorgung der irakischen Bevölkerung in den nächsten 12 bis 18 Monaten ernsthaft gefährdet wäre. Sowohl die landwirtschaftliche Bewirtschaftung irakischer Äcker als auch ein umfangreicher Lebensmittelschmuggel aus dem Iran und Jordanien sorgen für die kontinuierliche Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung. Demgegenüber fürchten die Weltmächte und auch die Mehrheit der Arabischen Liga, sie könnten ihr fragiles Bündnis gegen den Irak nicht ein bis zwei Jahre zusammenhalten. Am Ende würde die einzigartige Allianz wegen anderweitiger Konflikte zerfallen, und Saddam könnte womöglich erfolgreich aus dieser Krise hervorgehen. Die Folgen für den arabischen Raum und den Westen wären katastrophal: Eine ungebremste Aufrüstung der atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungsmittel, eine gefährliche Radikalisierung des fundamentalistischen Totalitarismus, die Destabilisierung der gesamten Region, welche zum Sturz der prowestlichen arabischen Regime im Nahen und Mittleren Osten führen würde und eine irakische Kontrolle über nahezu 40 Prozent der weltweiten Ölvorkommen. Das sind die keineswegs unrealistischen Horrorvisionen, welche die breite anti-irakische Koalition zusammenhält.

Mit dem UN-Ultimatum an die Adresse Bagdads kommt die Golfkrise nunmehr in ihr kritischstes Stadium. Bleibt der Irak weiterhin stur, so wird es wohl auch bei den Alliierten kein Zurück mehr geben. Bis zum Januar werden nahezu 500.000 US- amerikanische Soldaten am Golf stationiert sein, und auch andere Staaten sind unermüdlich dabei, weitere Truppen und Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien zu entsenden. Angesichts dieses martialischen Truppenaufmarsches und der Rechtmäßigkeit der alliierten Verbände, im Notfall den Irak auch mit Gewalt aus Kuwait zu vertreiben, könnte — so hofft man insgeheim — Saddam Hussein doch noch einlenken. Er kennt jetzt den Terminplan seiner Gegner und muß sich darauf einstellen.

Bleibt der Irak weiterhin stur, so wird es wohl auch bei den Alliierten kein Zurück mehr geben

Allein, die irakische Ankündigung, zusätzliche 250.000 Soldaten in das besetzte Kuwait zu entsenden, deutet darauf hin, daß die irakische Führung zielstrebig auf einen Krieg zuarbeitet. Was also, wenn der Irak weiterhin hart bleibt und „nicht der UN- Drohung weicht“, wie Außenminister Aziz am Dienstag erklären ließ? Bagdad blieben dann nur noch zwei Möglichkeiten offen: Entweder es läßt das Ultimatum der Vereinten Nationen tatenlos verstreichen und konzentriert sich ganz auf die Abwehr eines geballten alliierten Frontalangriffs; oder es setzt in letzter Minute auf die arabische Karte. Angesichts der unaufhaltsam wachsenden Spannung könnte Saddam Hussein versucht sein, mit einem Präventivschlag gegen Israel seine politische Isolation in wichtigen Teilen des arabischen Lagers zu durchbrechen. Ein Angriff auf Israel, so wird in der irakischen Führung spekuliert, könnte vielleicht doch noch zu einem Bruch der anti-irakischen Koalition führen. Man glaubt, daß insbesondere Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien es sich einfach nicht erlauben könnten, gemeinsam mit Israel, das automatisch zu einem gnadenlosen Gegenschlag ausholen würde, gegen den Irak zu kämpfen.

Endlich wäre es Saddam auch gelungen, eine direkte Verbindung des Golfkonfliktes mit dem israelisch- palästinensischen Konflikt herzustellen. Vor allem aber wäre ihm die Begeisterung der arabischen Millionenmassen sicher, von denen er vielleicht sogar den Sturz Mubaraks, Assads und des saudischen Königshauses erhofft.

Die Mehrheit der arabischen Liga hat derzeit keinerlei Interesse an einer Verknüpfung des Golfkonflikts mit dem Nahostproblem

Saddam Hussein hat in den vergangenen Wochen mehrfach einen Giftgasangriff gegen Israel angekündigt. Es gibt keinen Anlaß, diese Vernichtungsandrohung nicht ernst zu nehmen. Besonders bedrohlich dürfte die Situation für die Bewohner Israels dann werden, sollte sich der irakische Diktator unter wachsendem militärischen Druck in einer immer auswegsloseren Lage wähnen. Dann könnte er durchaus fähig sein, in einem verzweifelten letzten Kraftakt deutsches Giftgas auf seinen Erzfeind abzuwerfen. Was hält Saddam vor diesem angekündigten Schlag noch zurück? Ahnt er, daß ein solcher Angriff auf den jüdischen Staat auch sehr leicht nach hinten losgehen kann? Die Mehrheit der Arabischen Liga hat das Bündnis mit den USA selbst nach den blutigen Vorfällen auf dem Jerusalemer Tempelberg nicht aufgekündigt, und man darf davon ausgehen, daß dies auch durch irakisch-deutsche Giftgasraketen auf Tel Aviv nicht geschehen wird. Zudem ist die Popularität der PLO in der arabischen Welt auf einem historischen Tiefstand. Seitdem bekannt wurde, daß in Kuwait lebende Palästinenser maßgeblich an der Besetzung Kuwaits beteiligt waren und sich zu Zehntausenden in die Reihen der irakischen Truppen eingereiht haben, ist der PLO von den Golfstaaten der Geldhahn zugedreht worden. Tausenden von Palästinensern wird seither die Arbeitserlaubnis nicht verlängert, und Massenausweisungen aus den Golfstaaten haben bereits eingesetzt. Daß sich Arafat und die PLO auf die Seite Saddams gestellt haben, ist denn auch der Grund, warum die Mehrheit der Arabischen Liga zur Zeit keinerlei Interesse an einer Verknüpfung des Golfkonflikts mit dem Nahostproblem hat. Es bleibt trotzdem nur zu hoffen, daß Saddam seine wahnsinnige Drohung nicht wahr macht. Benny Peiser