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Verfassungsschutz auf dem Prüfstand

■ In Berlin diskutierten VS-Mitarbeiter, Stasi-Auflöser und AL-Politiker über Sinn und Unsinn des Verfassungsschutzes

Berlin (taz) — Ein Verfassungsschützer wehrt sich: Lothar Jachmann, Abteilungsleiter im Extremismusbereich des Berliner Landesamtes und Gewerkschafter der ÖTV, kann der Forderung nach Abschaffung seiner Behörde nur wenig abgewinnen. Die Argumente seiner beiden Diskussionspartner Renate Künast (Fraktionsvorsitzende der Berliner AL) und Hans Schwenke (Stasi- Auflöser) fand er am Dienstag abend im Ostberliner Haus der Demokratie zwar „nachvollziehbar“, ja sogar „sympathisch“, doch: Nur „Abschaffen“ zu sagen, sei zu „bequem“. Es leugne die politischen und die rechtlichen Zwänge. Der Verfassungsschutz sei schließlich im Grundgesetz installiert — und ihn da wegzukriegen, bedürfte im Bundestag schon einer Zweidrittelmehrheit. Nach dem Scheitern des realen Sozialismus und dem Ende der Blockkonfrontation gestand Jachmann ein, seine Behörde sei gegenwärtig „auf dem Prüfstand“.

Der Grundgedanke der Verfassungsväter sei gewesen, eine zentrale Stelle zur Sammlung von Informationen über extremistische Betätigungen einzurichten. Zu einem richtigen Geheimdienst hätte sich der Verfassungsschutz erst entwickelt, als ihm zu Zeiten des Kalten Krieges die Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in die Hand gegeben wurde.

Jachmanns Vision ist ein Verfassungsschutz als öffentlicher „Dienstleistungsbetrieb“, der nur sagt, „welche extremistischen Gedanken es gibt“. Eckpunkte der von ihm gewollten Reform: „eine politisch sensible Führung“ der Ämter, eine „durchdringende“ Kontrolle, ein Datenschutz „mit substantiellen Vollmachten“ und ein dezidiertes Auskunftsrecht der Bürger. Vor allem, sagte der Gewerkschafter, müßte der Einsatz der nachrichtendienstlichen Mittel „zurückgenommen“ werden.

Den Verweis auf die fehlende Mehrheit verbat sich Stasi-Auflöser Schwenke. Dies könne und dürfe ihn nicht daran hindern, für seine Überzeugung weiter zu streiten.

Verdeckt arbeitende Institutionen — und hier schlug er einen Bogen von der Stasi zum Verfassungsschutz — seien demokratiefeindlich und entzögen sich prinzipiell jeder direkten Kontrolle. Gemeinsamkeiten zwischen Stasi und VS sah Renate Künast, für die AL auch im VS-Ausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses, nur in dem Bestreben aller Geheimdienste, die eigene Legitimation über ein Feindbild zu erhalten. Zur Not werde der Feind auch einmal aufgebaut. Beispielhaft sei ein Vorgang in den siebziger Jahren: Während die Baader-Meinhof-Gruppe noch über die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes diskutierte, schaffte ein V-Mann des Verfassungsschutzes die Tatsachen: Er legte die Knarren auf den Küchentisch.

Sorgen ganz anderer Art hatten am Rande der Veranstaltung die anwesenden ÖTVler aus dem Landesamt. Sollten die Sozialdemokraten nach der Wahl am Sonntag künftig in Berlin die Oppositionsbank drücken, fürchten sie den Durchmarsch der „Traditionalisten“ in ihrem Amte — ihre Versetzung inclusive. Wolfgang Gast

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