Asyl-Land DDR
: Abschiebung nach Osten

■ Ab Montag werden Flüchtlinge, die um Asyl nachsuchen, erstmals auch auf die neuen Bundesländer verteilt. Nicht nur die Mitarbeiter der zentralen Aufnahmestellen fühlen sich dabei heillos überfordert. Noch weitgehend „im Fluß“ befinden sich auch Unterbringung und soziale Betreuung.

Wenn am kommenden Nachwahlmontag Politiker sämtlicher Parteien zu interner Manöverkritik und Koalitionsabsprachen zusammentreffen, wird im fränkischen Zirndorf eine andere Runde beisammensitzen. Zu ihrer wöchentlichen „Verteilersitzung“ kommen dort Vertreter sämtlicher Bundesländer zusammen. Zu „verteilen“ sind Menschen, konkreter gesagt: Asylbewerber. Derzeit 4.000 bis 5.000 neu ankommende Flüchtlinge werden jeden Montag nach einem genauestens festgelegten Schlüssel den einzelnen Bundesländern zugewiesen. Premiere an diesem 3. Dezember: Erstmals werden Asylbewerber auch auf die fünf neuen Bundesländer verteilt. Insgesamt 20% der neu Ankommenden sollen die Länder der ehemaligen DDR der Bundesrepublik zukünftig abnehmen. So jedenfalls will es der Einigungsvertrag, und so wollen es auch zahlreiche Fernschreiben, interne Richtlinien und Bekanntmachungen, in denen Gemeinden und Landratsämter ultimativ unterrichtet wurden, daß sie von nun an verpflichtet sind, „Asylbewerber aufzunehmen und unterzubringen“.

Doch was als Anweisung seit Wochen auf dem Papier steht, ist in der Praxis ein programmiertes Chaos. Nach — höchst umstrittenem — bundesdeutschen Vorbild sollen die Flüchtlinge in den fünf neuen Bundesländern zunächst in eine Zentrale Anlaufstelle (ZAST) gebracht werden. Dort sollen ihre Asylanträge von einer zentralen Ausländerbehörde entgegengenommen werden, bevor die Flüchtlinge dann auf die Kommunen und Gemeinden „verteilt“ werden. Geplant sind solche zentralen Behörden in Potsdam, Chemnitz, Rostock, Halberstadt und Erfurt. Doch die Vorbereitungen dafür ersticken in Kompetenzwirrwarr und organisatorischen Problemen.

Vor allem Unterbringung und soziale Betreuung der ankommenden Flüchtlinge befinden sich nach wie vor „im Fluß“. Sowohl an den Orten der Aufnahmestellen als auch in den Gemeinden fehlen häufig Unterkünfte. Großobjekte, die für die vorgeschriebenen Gemeinschaftsunterkünfte in Frage kämen, gibt es in der ehemaligen DDR zwar mehr als genug. Aber bei vielen der anvisierten Betriebsferienheime, FDGB-Urlaubsobjekte oder ehemaligen Stasi- Einrichtungen sind die Eigentumsverhältnisse immer noch ungeklärt.

Wenige Tage vor Ankunft der ersten Asylbewerber geht die Unterkunftsbeschaffung nach Auskunft von Gemeindevertretern „nur sehr zögerlich und schleppend vonstatten“. Und etliche Kommunen hoffen wohl auch, daß ihre schleppenden Bemühungen sie vor einem abzusehenden Konflikt bewahren, denn schließlich könne man doch keine „Asylanten“ aufnehmen, wenn kein Raum da sei. Andere Gemeinden der Ex-DDR versuchen dagegen, sich direkt gegen die Ankunft der Fremden zu wehren: Man sei schon in der Vergangenheit mit ausländischen Arbeitskräften stark „belastet“ gewesen, argumentieren Gemeindevertreter im sächsischen Löbau.

Ungeklärt ist bis jetzt aber nicht nur die Unterbringung, sondern, so die Dresdener Ausländerbeauftragte, Maria Schieferdecker, die „gesamte Infrastruktur“. Auf eigene Faust haben sich die Ausländerbeauftragten einiger Städte in den vergangenen Wochen die wichtigsten rechtlichen Grundlagen und Verwaltungsvorschriften aus Westdeutschland beschaffen müssen. Den meisten Kommunen ist aber nach wie vor unklar, wie sie die Aufnahme und soziale Betreuung der Asylbewerber finanzieren sollen. Nach bisher kaum bekannten internen Richtlinien sollen zum Beispiel in Sachsen Asylbewerber grundsätzlich nur 85 Prozent des Sozialhilfesatzes erhalten — und auch die nur in Form von Sachleistungen. Für die soziale Betreuung der Flüchtlinge inklusive Sprachunterricht sieht Sachsen pro Asylbewerber einen Pauschalbetrag von 250 DM pro Jahr vor. Hochgerechnet auf die Praxis dürften sich demzufolge rund 90 Flüchtlinge gerade mal einen Sozialbetreuer teilen.

Leidtragende dieses Chaos werden rund 4.000 AsylbewerberInnen sein, die der Verteilerschlüssel jeden Monat neu in die ehemalige DDR verbannt. Sie werden nicht nur auf ungeklärte fachliche und organisatorische Probleme stoßen. Sie werden darüber hinaus mit einer Bevölkerung konfrontiert sein, für die das Thema „Asyl“ bisher ein Fremdwort war und bei der Fremdenhaß und unverhohlene Gewalt gegen Ausländer alarmierend wachsen. Maria Schieferdecker befürchtet: „Es wird Aufstände geben in den Gemeinden.“ Aber, so betont die Dresdener Ausländerbeauftragte, es gebe noch eine Chance, die Gemeinden auf das Zusammenleben mit AsylbewerberInnen vorzubereiten. „Schließlich stoße ich auch auf viele hilfsbereite Menschen.“ Vera Gaserow