Der Blick auf die Körper

■ Vier Malerinnen aus Polen in der Galerie Friedenau

In Polen ist Kunst zur Zeit so gewichtig wie ein Kropf. Hochschulabsolventen bleiben ohne Auftrag und Ausstellungsmöglichkeit, ohne Bündnisse und Aussicht auf eine Besserung der Situation. In Posnan gibt es zwar noch immer eine Kunsthochschule, aber keine einzige Galerie. So richten sich verbliebene Hoffnungen auf den Westen, um hier ein Stipendium, eine Galerie, eine Chance zu bekommen. Das Durchschnittseinkommen beträgt in Polen pro Monat 150.- DM. Da geht es auch für MalerInnen noch um andere Kämpfe, als durch eine gewisse Ausgewogenheit von Grün und Rot einen Reiz zu zünden, der das Auge erfreut und das Herz erhellt.

Die Ausstellerin in der Galerie Friedenau hatte sich bereits seit über zehn Jahren mit Plakaten, Graphiken und Kontakvermittlungen für Solidarnosc engagiert; nun war sie nach Posnan gefahren, um vier Malerinnen für eine Ausstellung in Berlin zu suchen. Sie wurden alle in einem streng reglementierten Programm ausgebildet: Beherrschung der Genres ist Pflicht. Von diesen Vorgaben beginnen sich nun alle vier zu befreien; dennoch bleibt die Loslösung innerhalb des Rahmens kunstimmanenter Fragen.

Die 1963 geborene Sabina Budynek malt hochformatige, monumentale Männerakte, entfernt sich vom Abbild und kontrolliertem Farbauftrag, gesteht der Farbe ihren eigenen Wert und Lauf zu und löst die Körper in kraftvoll dunklen Koloraturen und rauhen, rissigen Fakturen auf. Bilder im Kampfeszustand und nicht im geringsten expressiv. Budynel hat die Power des frühen Rainer und die Insistenz von Susan Rothenberg — aber nur geringe Aussichten, ihr Potential in Polen zu entfalten. Dabei arbeitet sie sich mit jedem weiteren Hochformat an ein Männerbild heran, das Herkules vom Standpunkt der Malerei noch einmal erfindet: monumental in der Kontur und in den Farben zerrissen und zerfetzt: ein ruinöses Monstrum, dessen Reiz im Ungefähren der Details liegt.

Auf ganz andere Weise arbeitet die 1964 geborene Anne Cieciel. Sie tuscht Figuren über kleinformatige Blätter. Zu einem Bild findet sie durch gesetzte Rhythmen und Hell-Dunkel-Effekte. Daran mißt sich dann auch das Gelingen. Brygida Kucharska (1965) bleibt ganz im Genre »Frauenakte«, malt in den Farben von Bonnard und Degas rücklings, bäuchlings hingelagerte Frauenkörper, akzentuiert in fast jedem Bild herausragende Brüste oder plastische Hinterbacken und beläßt deren Umgebung pastosem Farbspiel, die dem Blickfang assistieren. Die Frauenakte zwischen Kissen und in Lotterlagern bieten sich einem Männerblick, wie sich die Malerin vorstellt, daß sie sich sinnlich vorteilhaft für deren Frauenbild darstellen. Solche Bilder werden immer verlangt und immer wieder hergestellt werden — wie partiell transparente Dessous. Kucharska bekam bereits ein Stipendium in Hannover.

Anna Ryszynska (1964) bringt Geometrie und Figur in Konstellation. Die Figur erscheint in einem riesenhaft aufgeblähten Mechanismus wie ein Winzling. Dieser anekdotischen Härte nimmt sie die Wucht, indem sie die Bilder durch eine Blautönigkeit in die Ferne rückt. Wollte jemand Rückschlüsse ziehen, die gesellschaftliche Wirklichkeit auf die Bilder zurückspiegeln, er würde am ehesten bei Tyszynska fündig werden. Denn wenn diese Malerinnen malen, leben sie in jeweils anderen Zeiten, als wenn sie außerhalb des Ateliers ihre Lebensanstrengungen organisieren. Und wie es scheint, ist in der Malerei kein Genre je abgeschlossen, sofern das Nocheinmal mit der nötigen Entschlossenheit, Hartnäckigkeit oder Bedenkenlosigkeit ins Werk gesetzt wird. Menschenbilder sind in der Malerei nicht zuende gebracht. Also wird auch in Polen weitergemalt. Peter Herbstreuth

bis 5. Dezember in der Galerie Freidenau, ortrudstr. 5, 1-41, Di-Fr 14-19 Uhr