Alle Jahre wieder

■ Berliner Weihnachtsmärkte neu abspaziert

Verstohlen hatte ich mich im Supermarkt umgeschaut, ein bißchen ungläubig auch, dann das Verfallsdatum studiert. Keine überlagerte Ware. Frische wurde garantiert. Fast beiläufig hatte ich dann die Tüten mit Pfefferkuchen und Honigprinten in den Korb gelegt und war dann gleichgültig lächelnd zur Kasse gelaufen. Kein Seitenblick der Kassiererin, keine abschätzenden Blicke der anderen Kunden; trotzdem hatte ich hastig die Pakete in der Papiertüte verstaut und das Geld in die Taschen meiner Bermudashorts gestopft. Zuhause genoß ich dann den Geschmack von herber Schokolade, Muskat und Mandeln. Es war köstlich gewesen, dieses Weihnachtsgebäck im August.

Jedes Jahr schließe ich Wetten mit Freunden ab, wann diesmal der erste Weihnachtskalender in den Auslagen der Supermärkte hängen wird und Berge von Marzipanbroten und Kirschbomben den Weg zur Kasse zur Slalomfahrt machen. Im Vereinigungsjahr hat mich die Süßwarenindustrie wirklich überrascht, bei 28 Grad Celcius, mitten im heißen Sommer. So wird es wohl sein, hatte ich dann überlegt, wenn dank der Klimaverschiebung Deutschland zum Badeland wird, direkt am Meer liegt, und wir statt der Weihnachtskiefer eine Palme dekorieren werden.

Mehr als drei Monate sind seitdem vergangen. Statt der kurzen Hose trage ich jetzt dicke Jeans und wetterfeste Schuhe. Meine Tochter patscht durch Pfützen, mit Kapuze und Schal erinnert sie an einen Mini- Nikolaus.

Der Regen fällt in Strömen. Wir sind auf dem Alexanderplatz: der Osten Berlins hat dieses Jahr den Anfang gemacht und als erstes die Weihnachtsmarktsaison eröffnet. Noch im November. Aus Lautsprechern dröhnen blechern Folkloreweisen, die der scharfe Wind schnell davon trägt. Es duftet nach Glühwein, gebrannten Mandeln und Trabiabgasen. Trostlos sehen die Buden aus, die sich hier einheitlich aneinander reihen, matt glänzt der Kunstschnee an den Scheiben. Aber statt Kunstgeweblichem finde ich Socken zum Superangebot, Taschen aus Patchworkleder und Jogginganzüge in grellen Neonfarben. Dazwischen doch Mundgeblasenes, als Dutzendware. Lustlos schauen uns die Händler hinterher, lustlos ziehen wir bei diesem Angebot weiter.

Egal, aus der Ferne blinken bunte Lichter. S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Ein buntes Farbenmeer erstrahlt vom Hotel Stadt Berlin bis hierher. Vor einem Jahr hatten sich dort Menschen im Freudentaumel befunden, den Fall der Mauer begossen und den Sozialismus zum Teufel gewünscht. Davon ist heute nur wenig geblieben. Schnell hat westlicher Konsum Land und Leute überrollt. Die Stadt ist bunter geworden, zugeklebt mit Werbeplakaten ist jeder freie Platz. Fabrikneue Autos mit dem I am Anfang blitzender Nummernschilder parken rechts und links der engen Straßen, quälend langsam ist der Verkehr geworden.

Mittendrin der Christmarkt. Schausteller aus ganz Deutschland werben mit ihren Attraktionen, kilometerlange Imbißbuden laden zur Freßmeile ein. Ich hatte gehofft, ein bißchen wieder zum Kind werden zu können zwischen bunten klebrigen Süßigkeiten und sich drehenden und hupenden Karussells, wippenden Luftschaukeln und Losbuden. Überragend aber ist nur die 30 Meter hohe Tanne, deren Äste müde herunterhängen.

Der Trend zur alles degradierenden Verkaufsausstellung hat sich in den letzten Jahren abgezeichnet; viele der Berliner Weihnachtsmärkte haben längst ihre anheimelnde Atmosphäre, ihren vorweihnachtlichen Charme verloren. Statt einer Reise durch die Tradition und Geschichte des christlichen Festes ist die Idee zur Einstimmung auf den Heiligen Abend längst zur ernüchternden Werbe- und Verkaufsshow von Einzelhändlern und Warenhäusern verkommen. Schon die glatte Professionalität im Angebot, die steigende Synthetisierung der Weihnachtsartikel läßt oft nur öde Kaufhausatmospähre aufkommen. Selbst das einst so geschätzte Kunstgewerbe wird heute so betrieben, daß eine Verwandtschaft zum industriegefertigten Design unverkennbar geworden ist. Nur noch so scheint Absatz möglich zu sein. Allein die kirchlichen Adventsbasare, die sich über die ganze Stadt verteilen, geben sich alle Mühe, den vorweihnachtlichen Gedanken hochzuhalten. Selbstgemachtes mit viel Liebe zum Detail wechselt hier noch stolz den Besitzer.

Der Regen wird stärker. Wir stellen uns unter. Ein Karussell summt vor sich hin. Captain Future lockt, die Achterbahn dreht sich im dreifachen Looping. Sensationen müssen her. Der Hang zum superlativen Entertainment entführt die Besucher, die sich zwischen den Buden verlieren, in ferne Galxien, läßt sie schweben, rasen, fliegen. Die nostalgischen Schaustücke längst vergangener Zeiten sind selten geworden. Das Kettenkarussell ist out. Aber auch dem einstigen Ost-Bürger sitzt das Geld nicht mehr so locker. Es wird gespart für schlechte Zeiten oder für das Auto zum Verkehrschaos.

Der diesjährige Weihnachtsmarkt in der City am Breitscheidtplatz gibt sich multikulturell, europäisch soll er sein, weltoffen und unterhaltsam. Neue Ideen sollen Besucher anlocken, doch der Trend ist rückläufig. Warenhäuser haben Hochkonjunktur, zum Supersparpreis locken Handel und Industrie. Die Zeit wird knapp, statt Besinnlichkeit Gehetze. Es lebe der Verpackungswahn, der Inhalt ist zweitrangig. Die Masse macht's. Ihr Kinderlein kommet.

Der Wind zerrt an den Buden. Nach dem dritten Glühwein beschließe ich, zu gehen. Ein großes Pfefferkuchenherz hat meine Tochter sich gewünscht. Es baumelt locker am Kinderwagen. Die weiße Schrift bröckelt schon etwas aus: Alle Jahre wieder... Boris Erdtmann

Eine Auswahl:

Mitte: Zwischen Jannowitzbrücke und Alex, bis 21.12.; Mo-Fr 13-21, Sa 11-21, So 11-20 Uhr

City: Breitscheidtplatz und Tauentzien, vom 30.11. bis 26.12.; Eröffnung 16 Uhr; So—Do 11—21; Fr/Sa 11—22 Uhr; AM 24.12. 11—16 Uhr

Wilmersdorf: Schwedischer Weihnachtsbasar am 1.12. 10-18, am 2.12. 13-18 Uhr, Schwedische Kirche, Landhausstr. 26-28

Wedding: am 1.12. 9-16 Uhr Adventsbasar der Ev. Stephanus-Kirchengemeinde, Flohmarkt, Prinzenallee 39-40

Neukölln: Alt Rixdorfer Weihnachtsmarkt am 8./9.12., 14-20 Uhr Richardplatz

Spandau: 17. Spandauer Weihnachtmarkt in der Altstadt mit Bühnenprogramm und Konzerten, 1., 2.,8., 9., 15., 16., 22., 23., 12. 10-19 Uhr

Schöneberg: 2., 9.,16., 23.12. 10-19 Uhr auf dem Winterfeldtplatz

und in vielen Kirchengemeinden