„Ich bin ein linker Protestwähler“

■ Streitgespräch: Ex-Grünen-Wähler läuft über zur PDS, Ex-DKP-Funktionärin will jetzt ein grünes Kreuz machen

PDS oder Grüne — um diese Frage kreisen viele Tischgespräche nicht nur im Bremer Ostertor. Die taz bat zum Streitgespräch: Einen Bremer Lehrer (40), der die Grünen von Anbeginn aktiv unterstützt hat und diesmal sein Kreuz bei der PDS machen will. Und eine Bremer Angestellte (44), die nach zwanzig Jahren DKP-Mitgliedschaft „Grüne/ Bündnis 90“ wählt. Beide WählerInnen baten darum, ihre Namen zu verändern. Der eine, weil er nicht über sein Wahlkreuzchen prominent werden will, die andere, weil sie ihre DKP-Vergangenheit nicht an die große Glocke hängen will.

taz: Du hast lange grün gewählt, warum stehst Du jetzt auf PDS?

Bernd E.: Ich wähle die PDS nicht aus dem gleichen Grund wie damals die Grünen. Bei den Grünen war ich Programmwähler. Das grüne Projekt war für mich interessant. Es war eine Absage an die kapitalistische Produktionsweise. Bei der PDS bin ich linker Protestwähler. Wenn die Grünen so 'ne Politik wie jetzt zum Thema Golf vier Jahre lang durchgezogen hätten, wäre es für mich überhaupt kein Problem gewesen, sie auch diesmal zu wählen.

Irene F.: Was für mich bei dieser Wahl maßgeblich ist: Ich bin erstens dafür, daß der demokratische Aufbruch in den Bundestag einzieht. Die Kräfte, die die Umwälzung in der DDR maßgeblich vorangetrieben haben. Zweitens ist für mich die Frauenfrage wichtig. Und was die PDS in Frauenpolitik vertritt, ist wirklich mehr als katastrophal. Da sehe ich mich eher vertreten im „Unabhängigen Frauenverband“ und bei den Grünen.

Bernd E.: Bei der PDS kann ich bei diesen Dingen gar nicht sagen, daß ich einverstanden bin, oder daß ich nicht einverstanden bin. Die haben bisher viel zu wenig an Politik gemacht.

Als SED immerhin vierzig Jahre.

Bernd E.: Aber nicht als PDS. Ich möchte wirklich davor warnen, so undifferenziert die Propaganda zu übernehmen: PDS gleich SED. Das steht einem Intellektuellen nicht an.

Irene F.: Ich kenne die Leute, die hier die „Linke Liste“ machen. Das ist für mich ein viel größeres Problem. Das ist genau die gleiche alte Scheiße, die es in der DKP jahrelang gegeben hat: Man muß Wahlen machen, Diskussionen werden nicht geführt, die Vergangenheit wird nicht aufgearbeitet und irgendwelche Bündnisse werden zusammengeschustert, daß man jetzt plötzlich mit der MG („Marxistische Gruppe“) diskutieren soll, weil die auch unter dem linken Schild firmieren. Also ich habe mit denen nichts gemein. Durch diese Kandidatur wird ein Klärungsprozeß unter den Linken verhindert. Ich habe ganz große Aversionen dagegen, daß das in Zukunft wirklich wieder ein Parteienmodell sein muß.

Bernd E.: Da geh' ich mit Dir d'accord. Ich finde diese Verparteiung der Partei „Die Grünen“ auch schrecklich. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß ich die PDS deswegen wähle, weil ich so überzeugt bin von der PDS. Ich bin linker Protestwähler: Protest gegen die Annexionspolitik der Altparteien gegenüber der DDR und Protest gegenüber der politischen Ausrichtung der Grünen. Wenn eine ganz erhebliche Zahl von Wählerinnen und Wählern PDS wählt — und gerade in so einer kleinen Szene wie Bremen spricht sich schon rum, wer wen und warum wählt —, dann habe ich doch die Hoffnung, daß sich die Grünen mal überlegen, ob die Politik, die einige von ihnen vertreten, die richtige Politik ist.

taz: Mit der PDS den Grünen die Realos austreiben?

Bernd E.: Ich halte nichts von solchen Etiketten. Ich möchte, daß die Ausrichtung, wie sie zum Beispiel der Bundestagskandidat Fücks formuliert hat, nicht die Ausrichtung der Partei „Die Grünen“ wird. Ich bin nicht interessiert an einer „ökologischen Bürgerrechtspartei“.

Ist die PDS denn links?

Bernd E.: Das wird sich herausstellen. Sie hat zumindest in der Frage der Annexion der DDR durch die kapitalistische Bundesrepublik eine für mich akzeptable Position vertreten.

Irene F.: Die PDS vertritt in ihrem Programm Positionen, die bewegen sich auf dem Sprechblasenniveau.

Bernd E.: Keine Frage. Ich würde auch nicht gut finden, wenn die Grünen aus dem Bundestag herausfallen würden. Für mich war die Alternative: das kleine Kreuz bei der PDS oder das große Kreuz — über den gesamten Wahlzettel.

Irene F.: Nichtwählen kommt für mich nicht in Frage. Die Frauenbewegung hat nicht umsonst hundert Jahre für das Wahlrecht gekämpft.

Hast Du überhaupt nicht mit der PDS geliebäugelt? Hat Herr Gysi auf Dich überhaupt keine Wirkung ausgeübt?

Irene F. (lacht): Männer üben auf mich keine Wirkung aus. Meine Auseinandersetzung mit der DKP fängt ja nicht erst heute an. Ich weiß, was ich nie wieder will. Als ich in Berlin war, hab' ich mir bei der PDS angeguckt, was da überhaupt für ein Erneuererpotential da ist. Weil mich auch interessierte: Ist das nun die alte SED oder ist das nicht so? Da fällt einem natürlich schon auf: Viele von denen, die im Parteiapparat der SED waren, sind solche, die bei jedem dritten Satz erstmal nach oben gucken. Da hab' ich nicht unbedingt Bock zu. Ne bestimmte Diskussion, die führe ich seit Jahren. Ich denke da nur mal an diese Frauendiskussion. Ich hab' einfach keinen Bock mehr, mit diesem Restbestand, der da noch ist, diese Diskussion noch mal die nächsten zehn Jahre zu führen.

Außerdem finde ich diese personenorientierten Wahlkämpfe zum Kotzen. Muß ausgerechnet eine linke Partei den gleichen Scheiß auch noch mitmachen. Und denn ist da Gysi. Und weit und breit ist nichts anderes. Da sehe ich keine Persönlichkeiten, die politikfähig wären. Die, die da sind, kenne ich zur Genüge aus meiner DKP- Zeit, seit zwanzig Jahren. Wenn die von Demokratie reden, weiß ich, was ich davon zu halten habe.

Bernd E.: Ich kann nur sagen: Das Parlament ist ja so ein bißchen die Bühne. Früher sagte man die „Bühne des Klassenkampfes“...

Irene F.: ...oder „Schwatzbude“!

Bernd E.: Eine Bühne braucht gute Schauspieler und Schauspielerinnen, so wie Gysi. Aber die müssen wissen, wann ihre Zeit vorbei ist. Und ich hoffe, daß Herr Gysi, wenn er die vier Jahre im Bundestag gewesen ist, abtritt und wieder Rechtsanwalt wird.

Graf Lambsdorff ist auch ein guter Schauspieler und hat auch Finanzskandale am Hals. Wäre der nicht 'ne Alternative?

Bernd E.: Ich habe nicht gesagt, daß ich „Protestwähler“ bin, sondern „linker Protestwähler.“ Außerdem agitiere ich nicht für die PDS. Ich gebe nur in meinem Bekanntenkreis bekannt, warum ich die PDS diesmal wähle. Ich Ich muß auch keine offensive Wahlpropaganda machen: Ich bin zum Teil selber erstaunt, wer alles PDS wählt. Fragen:

Dirk Asendorpf, Barbara Debus