: Hoffen auf die lombardische Frikadelle
Der 1. FC Köln erreicht gegen Atalanta Bergamoim UEFA-Cup-Achtelfinale nur ein eins zu eins ■ Aus Köln Bernd Müllender
Horst Heldt ist ein Mensch wie du und ich. Die Frage, ob er der neue Thomas Häßler sei, hat er glatt verneint und wahrheitsgemäß geantwortet, er sei eben er selbst und sonst niemand. Ob er Kölns neuer Fußballheld werden kann oder gar schon ist, wie die lokale Presse ihn bejubelt, sollte das UEFA-Cup-Achtelfinalhinspiel gegen Atalanta Bergamo beantworten helfen. Es sei eindeutig festgestellt: Heldt ist Heldt, aber noch lange kein Held.
Indes, es ist schon merkwürdig, daß immer besonders Kurzgewachsene im Mittelfeld der Geißböcklein groß herauskommen. Lange Jahre der derzeit langzeitverletzte Littibarski, dann Häßler, bis er Juves Millionenrufe hörte, zwischendurch immer mal wieder der Gelegenheitsglanzpunkt Andrzej Rudy und jetzt Nachwuchsmann Horst Heldt. Einer halbhöher als der andere.
Je niedriger desto besser gilt allerdings auch in Köln nicht allgemein als Qualitätsmaßstab. Etwa für den Unterhaltungswert der ersten Halbzeit. Sie hatte soviele Höhepunkte wie die Luft Grade — kaum mehr als null. Heldt kurvte zwar mehrfach wie zumindest ein Häldtßler herum, quirlig, explosiv, antrittsschnell; aber als es darauf ankam, patzte er. Freigespielt von Janßen säbelt er freistehend am Ball vorbei, und kurz darauf ermöglichte sein schlimmer Fehlpaß dem „durchgedoppelpaßten“ Brasilianer Evair die Riesenchance zur Gästeführung. Illgner warf sich bravourös mit seiner schwarzen Pumphose dazwischen.
Daß beim FC fast nichts lief, lag auch am Sturm im Sturm. Der Torjäger hatte tags zuvor, gemeinsam mit Heldt, spaghettimampfend für die Fotografen posiert — so wolle man die Italiener vertilgen. Ergebnis: Ralf Sturm litt am Spieltag an Magenkrämpfen, und wurde zur Halbzeit ausgewechselt, weil er wegen seiner Unpäßlichkeit, so FC-Coach Erich Rutemöller, „nicht mehr laufen konnte“. Falko Götz ging nach vorn und schoß gleich einen Italiener an, der ins eigene Tor traf. Fünf Minuten später muß es die schwere Pumphose gewesen sein, die Weltmeister Illgner auf seiner Linie festhielt — Bordin köpfte nach flotter Rechtsflanke von Perrone von der Fünfmeterlinie zum Einseins ein.
Weil sich die Atalantisten danach auch mal offensiv einiges zutrauten, konnte Köln von Glück sagen, daß es beim Unentscheiden blieb. Von Heldt war immer weniger zu sehen, außer Kampfbereitschaft, und vorne stand Maurice Banach immer richtig, um die wenigen Möglichkeiten kläglich zu vergeben. Spaß am FC hatten die gerade mal 25.000 kaum noch, und so wandten sie sich mit Szenenapplaus der Fantausendschaft aus Bergamo zu, die mit pausenlos ungeheurer Lautstärke bei ihren Gesängen gemeinschaftlich in ihrem Stehplatzblock hin- und her- und rauf- und runterliefen. Sozusagen eine Ganzkörper-Ola. Sehr beeindruckend.
Dabei hatten doch auch die neutralen Besucher auf FC-Tore gehofft. Im Falle eines Rückstandes hatte Atalanta-Coach Pierluigi Frosio die Einwechslung des Claudio Paul Caniggia angekündigt. Das engelsgleiche argentinische Milchgesicht, bei der Weltmeisterschaft Begierdeobjekt großer Teile des weiblichen Geschlechts und mancher Schwuler, dessen Tore gegen Brasilien und Italien zwei Fußballgiganten gestürzt und geholfen hatte, daß seine Antikicker das Finale erreichten, hatte „doppeltarmgebrochen“ seitdem pausiert. Für die sechs letzten Minuten kam der langlockige Pampa- Schnucki zum Comeback, ausstaffiert wie zu einer Antarktisexpedition: als einziger mit dicken wollenen Handschuhen, Stutzen bis auf die Knie hochgebunden, darüber gleich die sexy Radlerhose und eine wie dick auswattierte Riesenhose, die selbst einem Fritz Walter zu seiner Zeit wie eine vorsintflutliche Fritz- Walter-Hose vorgekommen wäre. Fehlten nur noch Schal und die Pudelmütze, die beim Abschlußtraining seine Mähne krönte. Zweimal zwei Kölner durfte er austanzen, eine optimale Quote. Im Rückspiel, frohlockte Frosio, sei er von Anfang an dabei.
Erich Rutemöller macht sich wenig Illusionen: „Wenn Italiener auf Ergebnis spielen wollen, dann schaffen sie das meist auch. Aber“, meinte er mutig, „wir fahren trotzdem hin.“ Hoffnung macht dem ehrlichen Kumpeltyp und Daum-Gegenteil seine eigene kickkulinarische Erkenntnistiefe: Der Fußball, dozierte er kürzlich mit doppelter Inhaltsschwere, sei eben wie eine Frikadelle. In beiden ist alles drin.
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