Das Streikergebnis überzeugt nicht

■ Der Konflikt bei der Reichsbahn war ein Testlauf für zukünftige Auseinandersetzungen KOMMENTAR

Gemessen an den ursprünglichen Forderungen der Eisenbahnergewerkschaft ist das Ergebnis des dreitägigen Streiks jämmerlich: Alles Entscheidende wurde vertagt. Dieses Ergebnis verrät, daß der Konflikt der letzten Tage von der Gewerkschaft gesucht wurde, ohne daß eigentlich inhaltliche Voraussetzungen für eine Lösung vorgelegen hätten. Jetzt erst stellt sich heraus: Es gibt noch gar keine tariflich festgelegte Lohnstruktur, auf der aufbauend Verhandlungen über die Lohnangleichung zwischen Ost und West geführt werden könnten. Sie soll nun bis zum Frühjahr geschaffen werden. Und das Kündigungsmoratorium bei der Reichsbahn bedeutet im Klartext, daß weder der Vorstand der Reichsbahn noch die Gewerkschaft bisher eine Vorstellung über konkrete Rationalisierungs- und Sanierungsschritte entwickelt haben. Man weiß überhaupt noch nicht, was kommen soll, also läßt man erst mal alles so wie es ist.

Der Reichsbahnstreik ist also nicht wegen seiner materiellen Ergebnisse wichtig, auch wenn die Gewerkschaft die Bedeutung des halbjährigen totalen Kündigungsschutzes in den höchsten Tönen preist. Die Ergebnisse für jene, die sich in den letzten Tagen als Streikposten dem Zorn von Teilen der Bevölkerung ausgesetzt haben, ist eher enttäuschend, weil es sie eigentlich gar nicht gibt. Insofern werden viele Streikende sich nun fragen, was die Gewerkschaft mit ihrem überraschenden Streikaufruf bezweckt haben mag.

Natürlich spielt dabei auch die offizielle Gewerkschaftsversion eine Rolle, wonach eine tarifpolitisch inkompetente Reichsbahnführung auf Trab gebracht werden mußte. Aber darüber hinaus war der Streik für die Gewerkschaft offensichtlich auch ein Test für ihre Mobilisierungsfähigkeit in den neuen Bundesländern, ein Probelauf mit einer für die westlichen Gewerkschaftsführer weitgehend unbekannten neuen Mitgliedschaft, die 40 Jahre lang nicht streiken durfte und nun unter völlig neuen Verhältnissen ihre Interessen erkennen und vertreten soll.

Dieser Test ist der GdED zweifellos gelungen. Die Reichsbahner haben so effektiv gestreikt wie man sie bislang nie hat arbeiten lassen. Dies wurde durch den Umstand begünstigt, daß die Reichsbahn eben kein um das Überleben kämpfendes Privatunternehmen ist, sondern ein Staatsbetrieb, der nicht Pleite gehen kann. Streiks, zumal wenn die Bevölkerung davon negativ betroffen ist, können in aller Regel nicht mit dem Beifall der Öffentlichkeit rechnen. Das war auch diesmal so. Nur wenige Stimmen haben sich vom allgemeinen Chor der Empörung abgehoben, so die des SPD-Polikers Thierse. Er begrüßte den Ausstand der Reichsbahner als Versuch, die in den neuen Bundesländern grassierende Verunsicherung und Lethargie abzuschütteln, positiv für die eigenen Interessen einzustehen. Tatsächlich kann dies als wichtigstes Ergebnis der letzten Tage festgehalten werden. Streik ist immer auch ein Stück ziviler Ungehorsam, der Mut und Konfliktfähigkeit der Beteiligten fördert — allerdings nur, wenn er in Inhalt und Ergebnis überzeugen kann. Dieses Ergebnis überzeugt nicht. Die Verantwortung dafür trägt die Gewerkschaft. Martin Kempe