Schalck als Berliner Wahlkampfjoker

■ Justizsenatorin Limbach beschuldigt Hans Modrow (PDS), Schalck-Golodkowski gedeckt zu haben

Berlin (taz) — Ein Stück, geschrieben in Wahlkampfzeiten: Der frühere Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow (PDS), soll während seiner Amstzeit die Machenschaften des Ex-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski gedeckt und damit dessen Bereich, die „Kommerzielle Koordination“ (KoKO), vor der Strafverfolgung geschützt haben.

Das behauptete am Mittwoch die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD). Als Motiv vermutete sie, daß Modrow den „Nachweis krimineller Außenhandelsmethoden“ der DDR-Regierung verhindern wollte. In Bonn versuchte gestern Modrow seinerseits, den Spieß umzudrehen. In einem von der PDS verbreiteten Schreiben ließ er erklären: Die in Berlin regierende SPD versuche offensichtlich, „sich von der Schuld reinzuwaschen, die sie in der Zeit der Modrow-Regierung durch die Ablehnung des Ersuchens der DDR-Staatsanwaltschaft um die sofortige Auslieferung Schalck-Golodkowskis auf sich geladen hat“. Seine Regierung habe unmittelbar nach der Flucht des Stasi-Mannes Golodkowski Maßnahmen ergriffen, „die verhindern sollten, daß finanzielle und materielle Mittel des Staates abflossen“. Mit der Bildung einer Sonderkommission habe der Ministerrat seinerzeit eine „gründliche Aufklärung der Geschäftstätigkeit von Koko“ und eine „umfassende Revision und Kontrolle“ gewährleistet. Jetzt fordert er den Rücktritt Limbachs.

Die Justizsenatorin hatte am Vortag erklärt, die Arbeitgruppe „Regierungskriminalität“ der Berliner Staatsanwaltschaft sei im Zuge ihrer Ermittlungen auf eine schriftliche Anordnung des früheren Ministerpräsidenten vom 3. Dezember gestoßen, in der die Ermittlungen gegen das Schalck-Imperium zur Geheimsache erklärt wurden. Nach ihren Angaben hat Schalck auch unmittelbar vor seiner Flucht in den Westen fünf Koffer mit umfangreichen Geschäfts- und Kontounterlagen zusammengestellt. Wegen des Ermittlungsverbotes seien diese dann von der Generalstaatsanwaltschaft dem Ministerrat übergeben worden. Trotz umfangreicher Ermittlungen seien diese Koffer aber bis heute nicht mehr aufzufinden.

Die genannte Anweisung Modrows ist allerdings schon lange bekannt. Sie wurde bereits am 28. Juni vom 'Stern‘ veröffentlicht. „Aus Gründen der nationalen Sicherheit“ untersagt Modrow darin „mit sofortiger Wirkung die Einsichtnahme in die Geschäftsakten der Hauptabteilung I des Bereiches Kommerzielle Koordination“. Die Abteilung I war vom Schalck-Vertreter Manfred Seidel geleitet worden und der verlängerte Arm der Staatssicherheit. Über diese Abteilung wurden nicht nur von der Stasi sogenannte Embargogüter beschafft, über sie wurden unter anderem auch die Operationen der Stasi im Ausland finanziert. Aus damaliger Sicht gab es für den Ministerrat gute Gründe, die Durchleuchtung der Abteilung zu verhindern.

Die wahren Vorgänge könnte mit Sicherheit einer aufklären: Schalck- Golodkowski. Seit seiner Flucht und späteren wochenlangen Vernehmungen beim Bundesnachrichtendienst lebt er unbehelligt am Tegernsee. Von Richtern oder Staatsanwälten wurde der ehemalige KoKo-Chef bislang nicht belästigt. Das Bonner Justizministerium versichert, Schalck stehe „nicht unter der Obhut einer Bundesbehörde“. 'dpa‘ meldete dazu gestern, die Anzeichen mehrten sich, daß sich Schalck „auf eine längere Auslandsreise vorbereitet“. Wolfgang Gast