Aug' in Aug' mit der Kritik

■ „Notfall Musikkritik“ — Zum Vortrag von Ute Schalz in DACAPOs „Wegen zur Musik“

Es rauschen Klangkaskaden vorbei; virtuos mit allem, was Holz, Blech, Saiten, Stimmbänder und Tastatur zu bieten haben. Keine Frage — es handelt sich um ein Konzert mit sogenannter ernster Musik. Ein bis zwei Tage später kann man in der Zeitung aus berufenem Munde lesen, wie ernst es war. War's so? Die MusikerInnen — und nicht zuletzt auch die LeserInnen — fühlen sich meistens unverstanden von der KritikerIn, dem unbekannten Wesen.

„Ich wollte Sie einfach mal kennenlernen und wissen, was das für eine Frau ist, die solche Kritiken schreibt...“ Offensichtlich war das „Aug' in Aug'“ mit Ute Schalz für die zahlreichen BesucherInnen der dritten DACAPO-Veranstaltung „Wege zur Musik“ ein wichtiger Aspekt. Doch es ging um mehr: Unter dem Motto „Notfall Musikkritik“ berichtete die Bremer Musikkritikerin aus der Praxis des Musikfeuilletons. Sie tat neben ihrem Hamburger Kollegen Lutz Lesle, der auf den „Notfall Musikkritik“ 1981 in einem gleichnamigen Buch aufmerksam machte, einen öffentlichen Blick hinter die Kulissen der Musikkritik.

Was ist da in Not? Zunächst einmal die KritikerIn selber: „MusikkritikerInnen sind IdealistInnen“, so Ute Schalz, denn über 80 Prozent der Kritiken werden unter den Hungerleiderbedingungen der freien Mitarbeit erstellt. Angesichts der Zerreißprobe der Erwartungen von MusikerInnen, VeranstalterInnen, LeserInnen und nicht zuletzt die eigenen Ansprüche an das Elaborat ist das Zeilenhonorar ein Hohn. Über den sollte man im Moment des Schreibens besser gar nicht nachdenken, wenn etwas sachlich Kompetentes, Ehrliches — doch nicht Verletzendes, stilistisch Ausgefeiltes, Persönliches und dennoch Objektives aus der Feder fließen soll.

Von den 80 Prozent der frei entstandenen Texten sind 90 Prozent eine „Anhäufung von Müll“, weil angesichts der katastrophalen Arbeitsbedingungen qualifizierte MusikkritikerInnen fehlen — Ute Schalz schonte ihre ZuhörerInnen nicht mit kassensturzartigen Bilanzen der Wirklichkeit. Und selbst bei den übrigen zehn Prozent Qualitätstexten gibt es noch genügend Probleme.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Hier sollte nicht die Sammelbüchse für lamentierende MusikkritikerInnen herumgehen. Ute Schalz sprach über das Genre „Musikkritik“ aus der Sicht einer KrtikerIn, die gerade die Widrigkeiten zu einem Dennoch veranlassen — und zwar auf allen Ebenen. Sachliche Kompetenz, die einerseits selbstverständlich erwartet wird, ist andererseits ein rotes Tuch für die LeserInnen: Bei gewissenhafter Vorbereitung (mit Partiturstudium und Interpretationsvergleichen) auf das Ereignis trifft negative Kritik auf diesem sicheren Fundament fast ebenso sicher den empfindlichen Nerv des Lesepublikums, das verständnislos bis entrüstet den Kopf schüttelt. Verletzte Gefühle der LeserInnen (“Ich habe noch nie so etwas Tolles gehört! — Aber Sie...?!“) sind scheinbar nicht mit dem musikwissenschaftlichen Ethos zu kitten — daß die KritikerIn auch Gefühle beim Musikhören hat, ist angesichts des Damoklesschwerts „Objektivität“ ohnehin Nebensache.

Verzichtet hingegen die Musikkritik auf Fach-und Sachverstand und konzentriert sich auf die beliebten atmosphärischen Schilderungen der leichten Nachtigallenkehle der Sopranistin und der frischen Fönwelle des Dirigenten, so ist es oft das kleinere Übel. Den VeranstalterInnen dient Situationskomik scheinbar mehr als ein fundierter Verriß, dem Zeitungsverlag geht so kein Anzeigenkunde im Groll verloren, und manche LeserInnen erinnern sich gerne an die irgendwie wunderschöne Stimmung. Und läßt man einmal alle Geschmacksfragen und mafiosen Verstrickungen beiseite, so stellt sich doch die Frage, was Musikkritik überhaupt soll, da Konzerte ohnehin unwiderbringlich vorbei sind. Ist das alles nur Geschmäcklertum und narzißtische Nabelschau von hochqualifizierten, aber verkrachten RezensentInnen-Existenzen? Ute Schalz hingegen attestierte der Musikkritik gerade auch in den Interessenverstrickungen des Musikbetriebes einen hohen kulturpolitischen Stellenwert, und deswegen „muß man die Dinge beim Namen nennen“ — worum auch wir unsere LeserInnen unter dem Stichwort „Musikkritik“ herzlich bitten. Ulrike Brenning