Muff hinterm Sponti-Bild

■ Gefönte Köpfe statt Geschichtsbewältigung: Die PDS schwimmt zur Zeit auf jeder Trendwelle mit/ Ein klares Programm hat sie nicht zu bieten

Berlin. Noch im Mai erschien der Berliner PDS-Vorsitzende Wolfram Adolphi mit breitem Schlips und schlechtsitzendem Anzug aus graukariertem Tuch auf der politischen Bühne. Heute hat sich sein Erscheinungsbild erheblich gewandelt: Die Zeit des geraden Scheitels ist vorbei. Keck die Haare nach oben gefönt, präsentiert er sich jung und dynamisch in buntbedrucktem Seidenhemd, edlem Sakko und heller Leinenhose. So wie ihr stellvertretender Vorsitzender gibt sich die gesamte Partei im Wahlkampf: immer auf dem Sprung von einer Modewelle zum nächsten Trend, kaum ein nach »links« riechender Wahlkampfzug, bei dem die PDS nicht Lokomotive spielen will. Vierzig Jahre lang eingeübter Opportunismus läßt sich nicht so einfach abstreifen. Wer auch immer gerade zum Protestschrei anhebt — wenn sich gegen die alteingesessenen Parteien Opposition machen läßt, stimmt die PDS mit ein. So machte sie sich ausgerechnet zum Fürsprecher der BesetzerInnen in der Mainzer Straße — und schlug so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: die gewendeten Einheitssozialisten trafen den Nerv der von dem martialischen Polizeiaufgebot entsetzten BürgerInnen und nutzten gleichzeitig die Gelegenheit zum Flirt mit den über den Einsatz ebenfalls empörten Mitgliedern des Bündnisses 90.

Die Strategie der PDS ist unerträglich leicht durchschaubar. Es sind die globalen Probleme, die es zu beseitigen gilt, generelle soziale Rechte, die man erringen muß, und da lassen sich die Themen beliebig auswechseln: Egal ob es gerade um die Rechte der Frauen, der Arbeitslosen oder um die Umwelt geht — so wie es derzeit läuft, geht es nach Auffassung der Partei »für eine starke Opposition« jedenfalls nicht. Nur — die Frage »was tun?« läßt die PDS weitgehend unbeantwortet. Inhaltliche Konzepte werden der Öffentlichkeit vorenthalten. Beschäftigt mit der eigenen Umstrukturierung (oder zumindest dem Anspruch daran), attestiert die PDS der Gesellschaft Fehlentwicklungen, die anderen Parteien schon lange vor ihr aufgefallen sind: Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, die Gefahr der Ausdehnung des Paragraphen 218 auf das Gebiet der ehemaligen DDR, Zweidrittelgesellschaft, Umweltverschmutzung und Treibhauseffekt, Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Konkrete Chancen zur Diskussion und inhaltlichen Festlegung wurden bislang ohne erkennbares Bedauern versäumt. Bestes Beispiel: die Vereinigung der PDS mit der Westberliner Linken Liste/PDS. Der Öffentlichkeit war sehr wohl bekannt, daß es unter anderem bei der Diskussion über den Einsatz von Atomkraft zur Energiegewinnung durchaus unterschiedliche Positionen gab. Doch statt offensiv und öffentlich darüber zu debattieren, wurde der Konflikt heruntergekocht. Heraus kam eine fade schmeckende Parteivereinigungssoße, die den meisten WählerInnen zwar wenig Appetit machen dürfte, den stillhaltenden WestberlinerInnen der Linken Liste/PDS aber immerhin die Hälfte der vorderen Listenplätze sicherte. Perspektivische Formulierungen beschränken sich demgegenüber auf die Willensbekundung, »Sozialismus als menschenwürdiges Gesellschaftssystem von Grund auf neu zu denken und zu entwickeln«. Die Forderungen der demokratischen Sozialisten sind weder kompromißlos noch grenzen sie sich zielsicher von denen anderer Parteien ab. Statt dessen verliert sich die PDS in sozialdemokratischen Slogans und Allgemeinplätzen, in denen sich jeder und keiner wiederfindet.

Dann wiederum schlagen Teile der Partei in ihren Einschätzungen völlig über die Wendestränge: so die »Jungen GenossInnen« aus Hohenschönhausen, die die Räumung der Mainzer Straße mit dem Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens gleichsetzten. Spätestens hier zeigt sich, daß die »GenossInnen« in ihrem Einschätzungsvermögen wenn nicht unfähig, aber doch erheblich irritiert und orientierungslos sind.

Die Oppositionsrolle hatte die PDS spätestens nach den März-Wahlen für sich entdecken müssen. Als Konsequenz trat sie die Flucht nach vorne an und erklärte die Oppositionsrolle zu ihrer ureigensten Funktion. Schon während des Wahlkampfes im März zeigte sich die PDS lieber als freche Sponti-Partei der Beleidigten und Unterdrückten als ihre eigene Herrschaftsgeschichte zu betrachten. In krassem Gegensatz zu diesem Bild einer lebhaften Partei steht bis heute das Verhalten der Mitglieder selbst: Die Weißenseer PDS- Direktkandidatin Renate Tepper kann auch jetzt noch nicht vor versammelter Mannschaft zugeben oder bereuen, daß sie vor 14 Jahren den heutigen SPD-Vizevorsitzenden Wolfgang Thierse verpfiff. Dies ist nur eine Episode der großen Geschichte von gern und oft bekundeten kollektiven Schuldgeständnissen, hinter deren hehrem Anspruch der Einzelne — wenn es um seine eigenen Verfehlungen geht — weit zurückfällt. Die eigene Verantwortung für die Geschichte der DDR wird nicht verarbeitet, sondern verdrängt.

Der Psychologieprofessor Alexander Mitscherling gibt in seiner Beschreibung des »Alltags der Psychoanalyse« zu bedenken, »daß es in einer Konfliktsituation, in der es darum geht, begangenes Unrecht einzusehen und eigenes Verhalten zu korrigieren, überaus schwerfällt, Einsichten zu erwerben und ihnen gemäß zu handeln«. Genau das ist auch das Problem der PDS. Allerdings: Für die notwendige Aufarbeitung ihres Verhaltens in den letzten Jahren braucht auch sie ein konstruktives Gegenüber — die Gesellschaft. Die gibt sich zur Zeit jedoch alle Mühe, die PDS möglichst weit an den Rand zu drängen, in dessen Schatten diverse »Wendesozialisten« weiterhin Seilschaften knüpfen.

Die Kleider sind bereits gewechselt — den darin steckenden Körpern aber haftet der Muff von 40 Jahren noch immer an. maz