Patchwork der Trauer

■ »Common Threads« — Oscar-Preisträger 1990 in der Sparte Dokumentarfilm — läuft zum Welt-Aids-Tag in Berlin im Fernsehen

Berlin. Sie sitzen zusammen, Menschen verschiedenster Herkunft, und kleben, schneiden, zeichnen, basteln: jeder einen Teppich, ganz bunt oder verhalten in Schwarz-Weiß. Jedes Stofftuch soll an einen erinnern, den sie verloren haben: den Sohn David, den Vater Tom, den Ehemann Robert, den Lebensgefährten Jeffrey, den Geliebten David. Die fünf Tücher werden aneinandergenäht, noch 8.483 kommen hinzu. Im Oktober 1988 wird der riesige Stoffteppich vor dem Weißen Haus in Washington entrollt, von Unzähligen, gekleidet in Weiß. Dazu werden die Namen verlesen, von jedem einzelnen, der verzeichnet ist auf dem Teppich. Von jedem, der gestorben ist an den Folgen von Aids.

David war elf, als er starb, Bluter seit Geburt und mit dem Virus infiziert durch eine falsche Transfusion. Zu seinem letzten Weihnachtsfest erfüllte sich sein letzter Wunsch, er spricht mit seinem Fernsehhelden Alf. Tom Waddell war für die USA bei der Olympiade 1968 dabei, später begründet er das schwule Gegenstück, die »Gay Games«. Mit seiner lesbischen Freundin Sara Lewinstein hat er eine Tochter. Robert Perryman berät bis zu seinem Tod jene, die als Drogenabhängige ein ähnliches Leben führen wie er. Er selbst ist von der Nadel losgekommen, mit Hilfe seiner Frau Sallie. Die Infektion passierte vorher. Jeffrey war schüchtern, mit einer Leidenschaft für sentimentale Filme. Als er von seiner Krankheit erfährt, wird er politisch aktiv, kämpft für mehr Forschung und Aufklärung.

David war ein erfolgreicher Innenarchitekt, später gestaltete er Gärten und Parks. Der Platz neben ihm auf dem Friedhof in Washington ist seinem Freund vorbehalten. Der Film von Robert Epstein und Jeffrey Friedman erzählt uns all dies aus diesen Leben mit privaten Fotos, wackligen Schmalfilmschnipseln und den Erinnerungen derer, die sie überlebt haben. Davids Freund Tracy berichtet aus seinem Krankenbett, auch er schon gezeichnet von Aids. Er stirbt noch vor Fertigstellung des Films. Der Schriftsteller Vito Russo erinnert sich, wie er seinem toten Freund Jeffrey noch einmal durch die Haare fährt. Russo selbst starb vor einigen Wochen. Sallie Perryman, die Ehefrau von Robert, ist auch infiziert. Sie will leben, sie vertraut auf ihren Glauben. Sara Lewinstein lacht, als sie sich an die Geburt ihrer Tochter erinnert: Tom dachte, es sei ein Sohn, als er die Nabelschnur sah. Suzi und David Mandell kommen durch den Tod ihres Sohnes zum ersten Mal mit Schwulen in den Aids- Selbsthilfegruppen in Berührung und können zum ersten Mal wieder lachen.

Der Film erzählt auch die Geschichte der Krankheit Aids seit 1981. Mit Ausschnitten aus Nachrichtensendungen, die hilflose Ärzte zeigen und kämpfende Schwule, den sterbenden Rock Hudson und den homophoben Eddie Murphy, unbewegliche Politiker und reaktionäre Moralapostel. Der Film zieht Bilanz eines Jahrzehnts, mit seinen Opfern und ohne Gewinner. Und ist parteiisch dabei, sehr traurig und mit viel Kraft. Es ist schade, daß sich der Film so versteckt, zur schlechten Fernsehzeit, bei einem lokalen Sender. Und doch ist es dankenswert, daß der Film überhaupt gezeigt wird, denn er ist sehenswert, auf jeden Fall. eka

Common Threads , Sonntag, 2.Dezember, 9.30 Uhr, RIAS-TV.