Mein Vater ist Geheimagent

■ Ein Kinderbuch über Arbeitslosigkeit

Der sechsjährige Michi zieht mit den Eltern in die Stadt, in eine dieser modernen Neubausiedlungen, weil der Vater eine neue Arbeitsstelle hat. Glücklicherweise lernt Michi schnell einen Jungen kennen, der allerdings ein bißchen komisch ist. Roller und Fahrräder findet Gernot kindisch, Winterstiefel albern, ein richtiger Kerl läuft auch im Winter in Turnschuhen herum. Am merkwürdigsten sind aber die Geschichten, die er von seinem Vater erzählt. Der sei nur deswegen immer zu Hause, weil er nämlich ein ganz wichtiger Geheimagent ist, und das darf um Himmels Willen keiner wissen. Also kann Michi zu Hause darüber kein Sterbenswörtchen verlieren, auch nicht, als seine Eltern darüber reden, daß Gernots Vater arbeitslos ist, trinkt, und Gernots Mutter als Putzfrau schuftet, um die Familie einigermaßen über Wasser zu halten. Alles Tarnung, denkt sich Michi, und stellt sich voll wohliger Spannung das aufregende Leben eines geheimen Agenten vor.

Beides — den realen Alltag und die Phantasiebilder Michis erzählt Silke Brix-Henker kontrastreich in ihren großformatigen farbigen Bildern. Auch am Schluß läßt Michi sich nicht beirren: Als ihm Gernot seinen ziemlich schäbigen Kaufmannsladen überläßt, weil der Vater einen neuen Job auf einer palmenbesetzten Südseeinsel bekommt und die Familie daher wegzieht, malt er sich diese Geschichte begeistert, fast ein wenig neidisch aus. Tatsächlich kann Gernots Familie die teure Wohnung nicht mehr halten und muß daher umziehen.

Arbeitslosigkeit — und hier ist nicht die halbwegs freiwillige, nahezu erholsame mancher Intellektueller gemeint — wirkt sich vor allem auch auf die Kinder aus. Die beiden Autorinnen haben es in ihrem Buch verstanden, Kindern diese Probleme nahezubringen, ohne in sozialer Moral oder triefigem Mitleid zu versinken. Durch das Spiel mit Realität und Flucht in die Phantasie können die LeserInnen des Buches die Geschichte sozusagen von außen betrachten und sich ein eigenes Urteil bilden, vielleicht auch manche Kinder aus ihrer Umgebung besser verstehen, die ähnlich wie Gernot im Buch zu denen gehören, die unsere Gesellschaft durch den Rost fallen läßt. Heike Brandt

Kirsten Boie, Silke Brix-Henker: Alles total geheim , Oettinger Verlag 1990, 19,80 DM.