„Handlungsfreiheit statt Freihandel“

Die Gatt-Schlußrunde wird von Gegenveranstaltungen diverser Freihandelskritiker begleitet  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Wenn der Weltmarkt zu Gast ist bei Belgiens Franz Josef Strauß, dann dürfen Nörgler nicht stören. Wohl deshalb hatte Waffen-, Drogen- und Immobilienhändler Vanden Boeynants den Bruder seines „Geschäftskollegen“ Leo Tindermans um einen Gefallen gebeten: „Schmeiß die Gatt-Feinde aus deinem Hotel!“ Denn ausgerechnet die Internationale der Gatt-Kritiker hat sich im Brüsseler Fimotel gegenüber dem Heizel- Kongreßzentrum einquartiert, wo ab Montag der weltgrößte Markt stattfindet. Chef des Kongreßzentrums ist Paul Vanden Boeynants, der rund 10.000 Gäste aus aller Welt zu einem Handelsmarathon gigantischen Ausmaßes erwartet. Milliardenbeträge und Tausende von Arbeitsplätzen stehen zur Disposition. Millionen Menschen werden weltweit von dem Ausgang der Superdeals betroffen sein. Störer jeglicher Couleur sind da unerwünscht.

Den Rausschmiß konnte er zwar nicht durchsetzen, doch die belgische Polizei hat bereits mobil gemacht, um den Weltschlußverkauf vor Freihandelsgegnern abzuschirmen, die ebenfalls zu Tausenden in die heimliche Hauptstadt Europas einfallen. 20.000 Bauern aus der EG, Japan, Südkorea, der Schweiz, Island, Norwegen, der Türkei, Kanada und anderen Ländern wollen am Montag unter Anleitung des „Allgemeinen Ausschusses des ländlichen Genossenschaftswesens der EG“ auf den Straßen Brüssels verhindern, dem „Freihandelsgott Gatt“ geopfert zu werden. Daß diese Manifestation bäuerlich-konservativen Kleingeistes nicht in ihr Konzept paßt, machten die Gatt-Gegner mit linkspolitischem Hintergrund durch einen Organisationstrick deutlich: In dem fünf Tage dauernden Gegenprogramm mit dem treffenden Namen „Gattastrophe“ kommt die Massendemonstration gar nicht vor. Statt dessen sind Diskussionsveranstaltungen mit Europaparlamentariern, US-Abgeordneten und Bauernpolitikern geplant. Im Mittelpunkt sollen die Auswirkungen der Gatt-Verhandlungen auf die Dritte Welt stehen. Eigens dazu wurden Vertreter von über 40 internationalen Umwelt- und Dritte-Welt-Organisationen eingeladen. Die Veranstalter möchten damit der Tendenz in den Medien entgegensteuern, bei ihrer Berichterstattung die Dritte Welt zu vernachlässigen und sich ganz auf den Streit über den Abbau der Agrarsubventionen zu stürzen. Schließlich, so Denis Lambert, einer der Organisatoren von Gattastrophe, habe die US- Regierung zwar ausrechnen lassen, daß ein Scheitern der Gatt-Verhandlungen die Konsumenten in den Industriestaaten rund 375 Milliarden DM kosten würde. Die Kosten eines erfolgreichen Abschlusses der Gespräche für die Dritte Welt habe allerdings noch niemand berechnet. Ein bislang vernachlässigtes Problem sei beispielsweise die Forderung der Industriestaaten, neue Bereiche wie Dienstleistungen oder Patentrechte auf geistiges Eigentum in die Verhandlungen mitaufzunehmen. Dies würde den Großkonzernen erlauben, noch mehr als bisher die Wirtschaftspolitik der Länder in der Dritten Welt zu bestimmen.

Kritisiert wird auch der undemokratische Charakter der Veranstaltung. Der indische Journalist und Buchautor Chakravarthi Raghavan warnt davor, daß durch Gatt die Macht der Multis noch weiter gestärkt wird. „Sie kontrollieren schon jetzt 80 Prozent des Welthandels.“ Die Hüter der herrschenden Welthandelsordnung entscheiden seiner Meinung nach über Schicksalsfragen der weltwirtschaftlichen Ordnung, die für strukturschwache Betriebe und Regionen, aber auch für die Umwelt von ungeheurer Bedeutung sind. Dennoch kann von demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle keine Rede sein, statt dessen wird Geheimdiplomatie und Lobbyismus betrieben.

Mit dem Slogan: „Handlungsfreiheit statt Freihandel!“ wollen die Gattastrophen-Veranstalter nächste Woche das öffentliche Interesse wachrütteln, um den versammelten Freihändlern die Zügel anzulegen. Am meisten Hilfe werden sie dabei von den rund 6.000 offiziellen Gatt- Delegationen selbst bekommen. Schließlich sind sie auch nach Wochen intensivsten Handelns noch zutiefst zerstritten. Neben der Landwirtschaft sorgt der Textil- und der Dienstleistungsbereich für Dauerzwist. Deshalb haben viele das eigentliche Ziel der Uruguay-Runde, die Zollschranken weltweit im Schnitt um 30 Prozent zu verringern, bereits aus den Augen verloren.