KOMMENTARE
: Harte Zeiten für den "Dieb aus Bagdad"

■ Mit Verabschiedung der elften Irak-Resolution hat die UNO ihre Autorität geschmälert

Man kann ein begangenes Unrecht nicht durch die Begehung eines neuen Unrechts rechtfertigen.“ Mit diesem Satz reagierte UN-Generalsekretär de Cuellar im September auf die Frage eines arabischen Journalisten: Warum hat es die UNO versäumt, auf die israelische Expansion ebenso konsequent zu reagieren wie auf den irakischen Einmarsch in Kuwait? Damals ging es um den Versuch der Vereinten Nationen, den Irak durch Verhängung eines Wirtschaftsembargos zum Rückzug aus Kuwait zu zwingen.

Gestern nun hat der UN-Sicherheitsrat eine Resolution beschlossen, die den Irak ultimativ zum Rückzug auffordert und bei Nichteinhaltung der Frist bis zum 15.Januar mit dem „Einsatz aller notwendigen Mittel“ droht. Bislang sprechen alle Anzeichen dafür, daß wenig Chancen für eine Auflösung der verhärteten Fronten bestehen und ein vernichtender Krieg bevorstehen könnte.

Das von Saddam Hussein formulierte „Junktim“ zur Lösung des israelisch-palästinensischen und des irakisch-kuwaitischen Konflikts entsprang einem taktischen Kalkül: die „arabischen Massen“ zugunsten der irakischen Interessen zu mobilisieren. Daß Saddam Husseins propagandistischer Schachzug aber verfing, um die Besetzung eines anderen arabischen Staates populär zu machen, ist erstaunlich. Denn mit dem Junktim stellte er den irakischen Einmarsch in Kuwait mit der israelischen Besetzung von Westbank und Gazastreifen moralisch auf eine Stufe: Wie ein Dieb, der vor Gericht mit der Begründung einen Freispruch verlangt, andere vor ihm hätten schließlich auch gestohlen und seien nicht bestraft worden.

Der „Delinquent“ heißt Saddam Hussein, das „Gericht“ UN-Sicherheitsrat, das „Rechtssystem“ Völkerrecht. Es beruht auf der Konstruktion einer Weltgesellschaft, die aus gleichen Rechtssubjekten besteht: den souveränen Staaten. Doch dieses Rechtssystem — so unabdingbar es zur Konfliktregelung sein mag — beruht auf derselben Fiktion wie das bürgerliche Recht: Die formell gleichen Subjekte sind materiell ungleich.

Jedem ist klar, daß die USA ihre gesamte Macht einsetzten, um die für „ihre“ Resolution erforderliche Mehrheit zu erkaufen. Die USA pokern mindestens genauso hoch wie der Irak. Eine Fortdauer des zuvor beschlossenen Embargos hätte ausgereicht, um den Irak in eine aussichtslose Position zu manövrieren — und um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Daß die USA sich dennoch für eine „militärische Option“ eingesetzt haben, deutet einmal mehr darauf hin, daß es ihnen weniger um die Wiederherstellung der Souveränität Kuwaits als vielmehr um eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens durch Vernichtung der regionalen „Supermacht“ Irak geht. Nina Corsten