Die seltsame Biographie des Herrn Tyminski

Der von der Opposition als Scharlatan und als KGB-Agent bezeichnete Präsidentschaftskandidat gibt vor, seit dem Kriegsrecht 1981 nicht mehr in Polen gewesen zu sein — dabei ist er mehrmals über Tripolis eingereist/ Auch seine Zeit in Peru bleibt mysteriös  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

„Ich hatte schon damals den Eindruck, Stanislaw Tyminski hatte in Polen etwas Größeres vor“, erklärt Janusz Sukiennik, Chefredakteur des 'Zwiazkowiec‘, einer polnischsprachigen, zweiwöchig erscheinenden Zeitung in Toronto. Sukiennik hat kurz vor Tyminskis Abreise nach Warschau mit diesem noch ein Interview über dessen Buch Die heiligen Hunde gemacht, nie hätte er sich träumen lassen, so Sukiennik heute, daß aus dem seltsamen Traktat einmal ein politisches Manifest werden würde. Inzwischen wird das Buch, das nur auf polnisch erschienen ist, in Warschau bereits von fliegenden Händlern vertrieben. Auf seinen Pressekonferenzen und Wahlveranstaltungen wird Tyminski immer wieder auf einzelne Textstellen angesprochen, in denen er davon schreibt, ein „ökonomischer Krieg sei gegen Polen im Gange“. Die einzige Möglichkeit, die Polen auf aller Welt zu vereinen, sei ein Krieg. Dafür fordert er sogar Atomwaffen für sein Land. Daß Tyminski Fragen über seine Biographie ausweicht, hat die Spekulationen über ihn ins Kraut schießen lassen: Drogenhändler, KGB-Agent, Waffenhändler sei er. Für seine Anhänger dagegen ist er ein ökonomischer Wunderdoktor.

Der Glaube an seine Managerfähigkeiten gründet sich vor allem auf die Tatsache, daß Tyminski in Mississauga, einem Industrievorort von Toronto, die Firma „Transduction“ besitzt, die nach Aussage seines Partners Frank Ollie immerhin fünf bis zehn Millionen Dollar Umsatz macht. Über den Gewinn schweigt sich Ollie, der ein Drittel der Anteile besitzt, aus, stolz verweist er dafür auf den Preis, den „Transduction“ vor einigen Jahren für einen selbstentwickelten Computer namens „Black Beast“ bekam. Die Firma beschäftigt etwas über ein Dutzend Angestellte, die in einem gemieteten Gebäude arbeiten. Sie stellen vor allem Programme für Industriecomputer her.

Nach Kanada kam Tyminski 1969, nachdem er Polen verlassen hatte, „weil er dort keinerlei Entwicklungsperspektiven sah“, wie er selbst verkündet. Polnischen Zeitungsberichten zufolge war er kurz zuvor von der Musterungskomission der polnischen Armee als „psychisch krank“ freigestellt und zum Zivilschutz beordert worden. Kaum in Kanada gelandet, begann er Elektrotechnik zu studieren, anschließend machte er dann seine Firma auf. Er habe, so verbreitet er im Wahlkampf, sein Wissen dann Polen zur Verfügung stellen wollen, doch sei das Kriegsrecht ihm zuvorgekommen. Weil die Kommunisten ihn nicht nach Polen gelassen hätten, habe er eben in Peru investiert. Was nicht ganz stimmt: Die „Gazeta Wyborcza“ berichtete inzwischen aufgrund von Recherchen bei den Zollbehörden, Tyminski sei nach 1981 mehrmals in Polen gewesen — das Visum sei jedesmal von der polnischen Botschaft in Tripolis ausgestellt gewesen. Die Zeit bis 1985 ist zugleich die rätselhafteste in Tyminskis Biographie.

Wie ein kanadischer Wahlhelfer Tyminskis der 'Washington Post‘ erzählte, habe Tyminski in Peru mit dem Aufbau einer Öltransportfirma begonnen, deren einziges Amazonasschiff dann aber von Militärs konfisziert wurde, die das Boot im Kampf gegen Drogenhändler hätten einsetzen wollen. Robert Spanski, so der Name des Wahlhelfers, malt ein märchenhaftes Bild seines Helden: „Innerhalb kurzer Zeit wurde er vom Krösus zum Bettler. Sehr viele Leute hatten ihn ausgenutzt.“ Amazonas- Indianer hätten sich seiner angenommen, schließlich, soviel ist gesichert, heiratete Tyminski ein zweites Mal — eine Indianerin, die ihn auch jetzt in Polen begleitet. Schließlich eröffnete er in der Amazonasstadt Iquitos eine eigene Fernsehstation, die ausländische Programme ohne Genehmigung ausstrahlte, weshalb die Kinobesitzer der Stadt ihn bei der mächtigen brasilianischen Fernsehgesellschaft „Globo“ verpetzten. „TVS Cable“, wie die Station heißt, hat etwa 3.000 Abonnenten, die pro Monat fünf bis sechs Dollar Gebühr zahlen. Außerdem verkaufte er auch gleich noch drahtlose Telefone und eröffnete ein Restaurant und als Zulieferbetrieb dazu eine Farm. Aus Peru, sagen Menschen, die ihn kennen, sei Tyminski als ein ganz anderer Mensch zurückgekommen. Er verkaufte seinen Mercedes und erstand einen kleineren amerikanischen Lieferwagen. Er erwarb eine Erdbeerfarm im Norden Torontos, auf der er polnische Saisonarbeiter beschäftigte. Er zog in ein Einfamilienhaus und begann sein politisches Traktat zu verfassen. Geholfen hat ihm dabei der damalige Mexikokorrespondent des PVAP-Parteiorgans 'Trybuna Ludu‘, anschließend gründete Tyminski in der Warschauer Innenstadt einen Kleinverlag, der sein Buch herausbrachte. Am politischen Leben der polnischen Minderheit in Kanada hat er sich nie beteiligt. Auch Janusz Sukiennik kennt ihn allenfalls als Vorsitzenden der kleinen „Libertarian Party of Canada“, einer konservativ-liberalen Steuerprotestpartei, die 1973 entstand. Im Mai dieses Jahres spendete Tyminski ein paar tausend Dollar und wurde prompt zum Parteichef gewählt. Eine politische Karriere kann man das kaum nennen: Bei den Parlamentswahlen von 1988 hatte die „Libertarian Party“ gerade 0,3 Prozent errungen. Ihr Programm ist eine Mischung aus Laisser-faire- Liberalismus, Anleihen bei Nordamerikas Grünen und Träumen von einer „Wirtschaft der aufgehenden Sonne, in der Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen für freie Menschen warten“. In Polen spricht Tyminski lieber tiefverwurzelte Ängste und polnische Mythen an: Er warnt vor einem Ausverkauf des Landes, Polens Souveränität sei durch die Wirtschaftskrise bedroht, verspricht Besserung „schon im ersten Monat nach meiner Wahl zum Präsidenten“. Ein Scharlatan, ein Geistesgestörter, sagen seine Gegner jetzt über ihn. Ein „entschlossener Selfmademan, der alles auf eine Karte setzt und genau weiß, was er will“, entgegnen seine Anhänger. „Tyminski wäre imstande, sein ganzes Vermögen für dieses Ziel, Präsident zu werden, einzusetzen“, ergänzt sein Wahlhelfer Spanski. Und das ist tatsächlich glaubwürdig.