Im Rollstuhl aufs politische Parkett

9.000 CDU-AnhängerInnen bejubeln die Rückkehr von Innenminister Schäuble in seinen Wahlkreis Kohl und Späth rühren mit dem prominentesten Querschnittsgelähmten die Wahl-Werbetrommel  ■ Aus Offenburg Erwin Single

„Es ist eine ungewöhnlich bewegende Stunde für mich — und sie tut mir gut.“ Einen Moment lang wirkt Wolfgang Schäuble beklommen, wohl überrascht und beeindruckt von den stürmischen Ovationen bei seinem ersten kurzen Wahlkampfauftritt. „Wolfgang, Wolfgang“ skandierend, bejubelten 9.000 CDU-AnhängerInnen am Dienstag abend in der völlig überfüllten Offenburger Oberrheinhalle die Rückkehr ihres Ortenauer Abgeordenten auf das politische Parkett. Hier in seinem Wahlkreis, in unmittelbarer Nähe des Tatorts, wo er vor sieben Wochen durch zwei Revolverschüsse schwer verletzt wurde, traut sich der Innenminister drei Tage vor der Bundestagswahl wieder „ein ganzes Stück“ Einsatzbereitschaft zu und meldet erneut Ansprüche auf seinen bisherigen Kabinettsposten an. Die tosende Menge beim Heimspiel reißt ihn emotional mit. Fähnchen werden gezückt, Plakate und Spruchbänder entrollt: „Deutschland braucht Schäuble“.

Hoffnungsträger der Behinderten

Der neben dem wuchtigen Kanzler im Rollstuhl sitzende Schäuble erweckt jedoch nicht den Eindruck als ließe sich seine Rehabilitierung durch Rückkehr an die Arbeit so einfach erreichen. Mit einem freundlichen Lächeln und zögerlichem Winken nimmt er die Solidaritätsbekundungen entgegen, die ihm die Anhängerschar angedeihen läßt und erklärt, noch nicht über alles hinwegzusein. Die Unterstützung durch die Union vergleicht er mit der einer großen Familie: Da werde zwar auch gestritten, „aber wenn es einem dreckig geht, kann man sich auf die Familie verlassen.“ Helmut Kohl, der sich zusammen mit Ministerpräsident Lothar Späth und der gesamten CDU-Landesspitze zur Abschlußkundgebung der Union unter dem Motto „Solidarität mit Wolfgang Schäuble“ in Offenburg eingefunden hatte, forderte die WählerInnen auf, für ein Rekord-Erststimmenergebnis für Schäuble zu sorgen. Und Späth verlangte, es nicht beim Klatschen zu belassen, sondern den Lohn für „die unglaubliche Arbeit, die Wolfgang Schäuble beim Einigungsvertrag geleistet hat“, einzufordern.

Wenn Schäuble in den kommenden Wochen im Rollstuhl nach Bonn zurückkehrt, weiß er aus eigener Erfahrung um die Probleme, aber auch um die Hoffnungen zahlreicher Rollstuhlfahrer. „Sie erwarten ein Stück mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Behinderte“, ist sich Schäuble seiner zusätzlichen Verantwortung bewußt. Er will kein Mitleid; seinen Rollstuhl bewegt er selbstverständlich selbst. Bisher wurden die Forderungen der Behinderten, immerhin 10 Prozent der Bevölkerung, nicht immer ernst genommen. Nicht nur der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter hofft, Schäubles möge sich in Bonn für eine „barrierefreie Welt“ stark machen. Schäuble als Hoffnungträger der Behinderten.

In Offenburg ließ die geschlossene Unionsgemeinde keinerlei Zweifel erkennen, auch nach der Wahl wieder obenauf zu sein. Siegesgewiß übten sich die Wahlkampfredner in der Selbstinszenierung: Es gebe keinen Grund, jetzt zaghaft zu sein. Die Botschaft für das „Ja zu Deutschland, Ja zur Zukunft — Gemeinsam schaffen wir's“, die der Kanzler der Anhängerschar auf den Weg gibt, ist einfach: „Es lohnt sich jetzt zu arbeiten, zu kämpfen, einzutreten — wie Wolfang Schäuble.“ Mit Dankesworten wird nicht gespart; neben den eigenen Leistungen vor allem für diejenigen, die an der „Erfüllung des Traums der deutschen Einheit“ (Kohl) mitgewirkt hatten: die Amerikaner, Gorbatschow, die Ungarn, Solidarność und den „Landsleuten“ in der ehemaligen DDR, die letztlich das „Ende des barbarischen Honecker-Regimes“ herbeigeführt hatten. Der Kanzler, ganz Historiker, verzichtete wieder einmal auf Wahlkampfrhetorik und zeichnete in seiner Rede die welt- und deutschlandpolitische Entwicklung nach. Der „Baumeister der Wiedervereinigung und Kanzler der deutschen Einheit“ (CDU-Landesvize Teufel) läßt sich schon beim Einzug in die Halle unter den Klängen des Radetzki-Marsches feiern. „Ganz Deutschland fühlt sich wohl mit Schäuble, Späth und Kohl“, grüßte eine Anhängergruppe.

„Jusos nach Sibirien“

Während drinnen die CDU-Politiker auf der Bühne das Deutschlandlied anstimmen und die ganze Halle kräftig mitsingt, protestiert draußen eine Handvoll JungsozialistInnen gegen den „schwarzen Block“. Doch eine Gruppe junger UnionschristInnen will in ihrem ungebrochenen Siegestaumel die Andersdenkenden nicht dulden. Zwar ohne handgreifliche Auseinandersetzungen, aber mit stimmgewaltigen Sprechchören werden die Jusos plattgewalzt: „Jusos nach Sibirien“ und „Nieder mit der PDS“, fordert die Unionssympathisantenschar, „wir wollen keine linken Schweine“. Nachdem sich die Jusos verzogen haben, ziehen die jugendlichen CDU-Schlachtenbummler mit ihren schwarz-rot-goldenen Fahnen zu den Parkplätzen ab. Dabei setzen sie zu letzten Schlachtgesängen an: „Niemand wird es wagen, unseren Helmut Kohl zu schlagen“.