Statt Programm und Konzept gibt's nur Kohl

Union setzte im Wahlkampf ganz auf den Kanzler/ „Wir sind die Partei, die Partei ist Kohl“/ KritikerInnen des Vorsitzenden und Parteireformer sind verstummt oder wurden kaltgestellt/ Auch die Kollegen aus der Ex-DDR sorgten nicht für Auftrieb  ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan

„Wir, wir werden die Wahl gewinnen... Wir, das heißt Helmut Kohl.“ Vor Monaten sagte dies ein hochrangiger CDU-Politiker über die bevorstehenden Landtagswahlen in der ehemaligen DDR. Seitdem hat sich nichts geändert. Die CDU wird die Wahl gewinnen. Und die CDU ist Helmut Kohl.

„Helmut Kohl, Kanzler für Deutschland“, „Der Kanzler, der Vertrauen schafft“, „Helmut Kohl, Kanzler der Einheit“ — unschwer ist auf den Wahlplakaten die Strategie der Union im Kampf um Stimmen zu erkennen. Den Wahlkampf der letzten Wochen hatte die Parteispitze ihrer Basis selbst als „Kanzlerwahlkampf“ ans Herz gelegt. Und was dies bedeutet, bestimmte Generalsekretär Volker Rühe intern schon vor vielen Monaten so: An Personen nur den Kanzler rausstellen. Sonst niemanden, auch keinen DDR-Politiker. In der Tat spielt außer Helmut kein Thema, keine Person, keine Vision eine Rolle. Umweltschutz? Verkehr? Wohnungsbau? Frauen? Jugend? Arbeitslosigkeit? Ausländer? Asylbewerber? Dritte Welt? Vergebens hat gewartet, wer im CDU- Wahlkampf dazu mehr hören wollte als Stichworte. Dabei hatte dies selbst hochrangigen Unionschristen in den letzten wenigen Wochen nicht mehr ganz behagt. Es sei im Westen die Euphorie aus dem Einheits- Kanzler-Thema doch ziemlich draußen, bekannte jüngst ein enger Berater Helmut Kohls. Allerdings, dieses weiterzufahren sei immer noch besser „als sich etwa in der Klimakatastrophe verzetteln.“ Überdies habe man keine Alternative.

Letzteres stellen der Kanzlerberater und auch andere Unionspolitiker nicht nur fest; sie bekennen es mit leichtem Unbehagen. Eine Alternative fehlt nämlich nicht nur zu Helmut Kohl, dem Parteivorsitzenden. Eine Alternative fehlt auch zu Helmut Kohl, dem Parteikonzept. Und beide fehlen der CDU nicht nur im diesjährigen Wahlkampf, sondern seit geraumer und auf absehbare Zeit überhaupt. Etwa das Programm der Union: Eine Verbindung christdemokratischer Regierungsverantwortung „mit weitschweifigen Absichtserklärungen und allgemeinen Zustandsbeschreibungen“ — so urteilte vor Zeit einiger Zeit FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff darüber. In der Tat findet sich auf den vielen Seiten kaum Visionäres zu allen drängenden sozialen Problemen. Unser ökologisches Überleben, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die multikulturelle Gesellschaft, die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt, die Armutswanderung: Nichts von alledem wird in dem Programm so behandelt, daß es der Partei in den nächsten Jahren als Orientierungshilfe dienen könnte. Ebensowenig taugt das Papier, die „geistige Führungskraft der Unionsparteien“ zu beweisen, wie es der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler von seinen Christdemokraten stets verlangt.

Partei ohne Vision

„Wir dürfen Europa nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft nutzen, es muß auch Wertegemeinschaft sein.“ Sätze ihres Vorsitzenden wie diesen, werten Ideologen der Partei als Beleg für die These, auch Kohl empfinde den geistigen Mangel, den Mangel an Theorie in der CDU. Und dennoch läßt der Herrscher in seiner Partei niemanden zum Zuge kommen, der kreativ, der talentiert ist — und der ihn deswegen zuweilen auch kritisiert. Jene wenigen, die es wagten, gegen den Vorsitzenden aufzumucken, wurden abgemeiert — und ließen sich abmeiern. Und wer gewagt hätte, dennoch gegen den Unionschef aufzubegehren, dem ist die deutsche Vereinigung in die Quere gekommen. Als deren brillanter Manager gilt innerhalb wie außerhalb der Partei Helmut Kohl. Um ihn scharen sich mehr Unionschristen als je zuvor; gegen Widersacher ist er noch besser gepanzert als schon bisher. Ohne Protest aus den eigenen Reihen zu erwarten, kann Volker Rühe, Generalsekretär und bedingungsloser Kohlianer, prahlen, die CDU sei „glücklich über ihre neue Geschlossenheit“. „Thematische Scheinprobleme“ und „Flügeldiskussionen“ habe sie nun vom Tisch. Drum „brauchen wir keine neue Programmdiskussion.“

So ist heute niemand mit Einfluß in Sicht, der für die Partei vordenken oder gar umdenken könnte. Trotzdem es in ihnen gegen Helmut Kohl brodelt, halten die sogenannten Reformer in der Union still. Heiner Geißler hat sich anscheinend noch immer nicht davon erholt, daß Kohl ihn schaßte, als der langjährige Kanzlerberater und -vertraute allzu kritisch, allzu rebellisch wurde. „Der Heiner hat seitdem einen tiefen Knacks“, sagen selbst innerparteiliche Freunde des ehemaligen Generalsekretärs. Auch andere, die im letzten Jahr einen Putsch gegen Kohl geplant, im letzten Augenblick dann aber doch gekniffen hatten, sind verstummt: Rita Süssmuth hat seither zugelassen, daß Kohl sie von Posten zu Posten schob. Lothar Späth mault heftig. Hintenrum. „Lächerlich wie er sich gibt und demagogisch wie er ist“, habe Norbert Blüm sich verschlissen, meint ein einstiger politischer Weggefährte. Und Ernst Albrecht gilt sich selbst nichts mehr in der aktiven Politik. Jene Unionschristen, die gehofft hatten, ihre neuen Parteifreunde aus der Ex-DDR würden dem christlicheren, dem sozialeren Flügel in der Union Auftrieb geben, sind jetzt schon enttäuscht. Zaghaft, angepaßt, verunsichert, mit sich und ihrer Vergangenheit als Blockpartei nur allzu beschäftigt — so urteilt man über die Hinzugekommenen. Und Lothar de Maizière, einst großer Hoffnungsträger der CDU-„Reformer“, gilt ihren Vetretern inzwischen als „maßlos überschätzt“, „ohne inhaltliche Substanz“, „eine Person, mit der gar nicht nicht gut Kirschen essen ist.“

Ihre Freude richten jene, die mehr Partei und weniger Kohl wollen, nun auf das Ende des Vereingungsprozesses. Wenn erst mal das Gröbste gemanagt sei, so ein Reformer, dann kämen wieder die alltäglichen Probleme auf den Tisch. Dann müsse die CDU, ob sie wolle oder nicht, wieder nachdenken: über Jugendprobleme, Frau und Familie, Armutswanderung. Was der Auslöser sein werde? „Eine ganz üble Finanzdiskussion. Ein gnadenloser Streit über das, was Geld kosten darf und was nicht.“