Millionen Tiere kaltgemacht

■ In einem geheimen Bericht hat das Bundeslandwirtschaftsministerium akribisch das Ausmaß der Tierversuche in der Bundesrepublik aufgelistet/ Brutale Versuchsmethoden der Pharmaindustrie

Bonn (afp/taz) — Insgesamt 2,64 Millionen Tiere fielen im vergangenen Jahr der Forschungswut bundesdeutscher Wissenschaftler zum Opfer. Pharma- und Grundlagenforscher brachten dabei allein 2,15 Mäuse, Ratten und Meerschweinchen um die Ecke. Das geht aus einem streng vertraulichen, 115 Seiten starken Tierschutzbericht des Bundeslandwirtschaftsministers, Ignaz Kiechle, hervor, aus dem der Kölner 'Express‘ zitiert.

Danach wurden 1989 mehr als zwei Millionen Tiere mit Medikamenten gefüttert, um unter anderem neue Arznei- und Pflanzenschutzmittel zu testen. Andere Tiere durften Abwässer schlucken, um die darin enthaltenen Giftkonzentrationen festzustellen. Dabei starben sie unter meist qualvollen Bedingungen. Auch Kaninchen, Affen, Hunde Katzen, Pferde, Schweine, Rinder, Schlangen, Ziegen und Schafe starben für den wissenschaftlichen Fortschritt. Etwa zehn Prozent waren Fische und zwei Prozent Vögel.

Einige Tiere wurden auch für Infektionsversuche mißbraucht, berichtet die Kölner Tageszeitung. Ebenso mußten sie Operationen mit und ohne Betäubung sowie Punktionen über sich ergehen lassen. Bei dem sogenannten „LD-50“-Gifttest (dabei sterben 50 Prozent der Versuchstiere) sei einer Gruppe von Tieren eine steigende Dosis hochgiftiger Substanzen verabreicht worden. Der Tod trat dabei oft erst nach tagelangen Qualen ein. Vor allem Menschenaffen wurden gleich in mehreren Versuchen nacheinander „genutzt“. Zu den Versuchen, die länger als ein Jahr dauerten, wurden vor allem Ziegen und Schafe eingesetzt.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium sieht die Gesamtzahl von 2,6 Millionen Tieren nicht so verbissen. Schließlich liege sie noch erheblich unter den in der Öffentlichkeit geäußerten Schätzungen, heißt es in einer Stellungnahme. Außerdem seien die genannten Zahlen bereits zweimal in diesem Jahr vom Ministerium selbst veröffentlicht worden. Beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse könne noch nicht auf derartige Versuche verzichtet werden. Aber schon heute müßten die Versuche auf das „unerläßliche Maß“ beschränkt werden. Nur dann sei ein Tierversuch vertretbar, wenn der verfolgte Zweck durch andere Methoden nicht erreicht werden kann.

Das Ministerium erinnerte daran, daß das Parlament alle zwei Jahre über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes informiert werde. Der nächste Bericht erscheine im Januar 1991.

Ganz anders sieht das Wolfgang Apel, Geschäftsführer des Deutschen Tierschutzbundes. Er hält die Zahl von 2,6 Millionen Versuchstieren für untertrieben, denn unter den gesetzlichen Begriff würden nur Versuche am lebenden Tier fallen. „Experimente, bei denen Tiere getötet werden, um etwa ihre Organe zu entnehmen, werden nicht mitgezählt“, sagt Apel. Er glaubt, daß zwischen 14 und 20 Millionen Tiere jedes Jahr für die Forschung geopfert werden. Minister Kiechle betreibe „Paragraphenschwindel“.

Christa Leipold, Geschäftsführerin der Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche“ ist überzeugt davon, daß die Tierversuche völlig unbrauchbar und unnötig sind, weil die Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragen werden können. Trotz der Tierversuche seien allein im Jahre 1988 über 1.000 Medikamente vom Bundesgesundheitsamt wegen gefährlicher Nebenwirkungen gestoppt worden.

baep