Justiz mobilisiert gegen Pazifisten

■ Aufruf zur Fahnenflucht ist strafbar — auch wenn die Adressaten Ausländer sind/ Staatsanwalt in Bayern und Rheinland-Pfalz ermittelt gegen Grüne/ Schweden wird desertierten GIs kein Asyl bieten

Mainz/Erlangen/Stockholm (taz) — Kaum hat der Weltsicherheitsrat grünes Licht für eine bewaffnete Aktion gegen den Irak gegeben, bläst die deutsche Justiz zum Generalangriff auf Pazifisten: Wer Soldaten, ob deutscher oder ausländischer Provenienz zur Fahnenflucht auffordert, ist Ziel dieses Angriffs. In Mainz will die Staatsanwaltschaft wegen eines derartigen „Vergehens“ gegen grüne Politiker ermitteln, und im fränkischen Erlangen wurde gestern aus demselben Grund eine Wohnung durchsucht. Auch im ehedem liberalen Schweden pfeift jetzt ein schärferer Wind: Die Regierung in Stockholm teilte gestern mit, daß sie kriegsflüchtigen GIs künftig kein Asyl mehr gewähren wird.

In Mainz gerieten der grüne Landtagsabgeordnete Gernot Rotter und der Fraktionssprecher Bernd-Olaf Hagedorn ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft. Die beiden rheinland- pfälzischen Grünen hatten vor wenigen Tagen GIs, die im Golfkrieg eingesetzt werden sollen, aufgefordert zu desertieren.

Für das Verfahren mußte die Staatsanwaltschaft tief in die Mottenkiste greifen, denn dem Wehrstrafgesetz (WehrStG) ist „nur“ der Desertionsaufruf an deutsche, nicht aber der an ausländische Soldaten strafbar. Beim 4. Strafrechtsänderungsgesetz aus dem Jahre 1957 wurde die Justiz schießlich fündig. Die stellt nach Auskunft des Leiters der Mainzer Staatsanwaltschaft, Hans Seliger, „nichtdeutsche Vertragspartner“ der NATO bezüglich §111 StGB (Aufruf zu strafbaren Handlungen) und §16 WehrStG (Fahnenflucht) der Bundeswehr gleich.

Weil sie „GIs, don't go to the desert of Saudi Arabia. Desertation is a human right.“ geschrieben hatten, bekamen auch die bayerischen Grünen zum wiederholten Mal Ärger mit der Staatsanwaltschaft. Gestern durchsuchte die Erlanger Staatsanwaltschaft wegen „Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten“ die Wohnung des bayerischen grünen Landesvorstands, Hans-Hermann Hann.

Die Rechtsabteilung des schwedischen Außenministeriums bestätigte der taz ausdrücklich, daß die Praxis der sechziger Jahre, als GIs, die aufgrund des Vietnamkriegs nach Schweden flüchteten, dort Asyl erhielten, nicht mehr gelte. Es gebe auch „politische Gründe“, die einer Aufnahme entgegenstünden: Schweden trage alle UNO-Resolutionen im Zusammenhang mit der Besetzung Kuwaits durch den Irak mit, auch die über einen möglichen Waffeneinsatz. Vor einem Jahr hatte die Regierung Carlsson das Ausländergesetz verschärft und dabei auch ausdrücklich die bis dahin geltende Asylmöglichkeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gestrichen. Schwedens „Umweltpartei — die Grünen“ kritisierte die bundesdeutschen Grünen: Es sei unverantwortlich, Soldaten zum Desertieren zu ermutigen und ihnen eine Fluchtmöglichkeit zu versprechen, die es nicht mehr gebe. Ein Sprecher der Bremer Grünen kündigte unterdessen an, daß seine Partei nun Kontakt mit den Botschaften Österreichs, der Schweiz und Jugoslawiens aufnehmen wird, um doch noch eine Lösung zu finden. Jo/lui/Wolff/dora