Charaktermasken des Schweinefußballs

■ Der bundesdeutsche Meister FC Bayern München gewinnt gegen die Oberliga-Spitzenmannschaft Türkiyemspor in einem „flotten Spiel“ (beide Trainer) verdient mit 2:1/ Zuschauerzahl enttäuschend, Stimmung dafür glänzend

Mommsenstadion. »Das Spiel fällt aus«, schrieb eine Boulevardzeitung, und prompt fanden dann auch nur 2.800 zahlende Zuschauer an dem Tag, der eigentlich der »große« in der Geschichte des Oberligavereins Türkiyemspor werden sollte, den Weg ins Mommsenstadion.

Die Stimmung unter den in letzter Zeit vom Schicksal und dem BFV arg gehänselten Türkiyemspor-Fans tat dies allerdings keinen Abbruch. Die Münchner schossen zwar bereits in der 3. Minute, während ein kleiner deutscher Supporter-Block noch logistische Probleme wälzte, (»Was, zur Hölle, heißt »Verreck, verreck, Bayerndreck« auf türkisch?«) durch Strunz ihr erstes Tor, doch dies führte nur bei einigen wenigen ideologisch nicht gefestigten Personen zu nicht weiter erwähnenswertem Jubel. Türkiyemspor wurde trotz des in der ersten Halbzeit schwachen Spiels begeistert angefeuert. Daran änderte auch das zweite Bayerntor in der 38. Minute, ein besonders blöder Abstauber von Wohlfahrt, nichts.

Als dann in den folgenden langen, kalten Minuten, in denen die Münchner die Berliner Hälfte fest in Besitz nahmen, der sich langweilende Aumann fast 20 m vor seinem Tor stand, wurde er von den auf gleicher Höhe befindlichen Türkiyemspor-Fans mit freudigen »Aumann, Aumann«- Rufen begrüßt. Der solch freundliche Behandlung nicht gewohnte Bayerntorwart stutzte, denn für einen Großteil der Bundesliga-Fußballfans verkörpert sein Verein so etwas wie die Charaktermasken des Schweinefußballsystems, den FIK (Fußballerisch-industriellen Komplex) und so brauchte er auch eine ganze Weile, bis er mit einem unsicheren und nur halbcoolen Zurückwinken reagierte.

In der zweiten Hälfte wurde das Spiel der Türkiyems dann weitaus besser, sehr wahrscheinlich nicht zuletzt bedingt durch die Auswechslung von gleich fünf Bayernstars gegen etwas unbekanntere Kicker. Tribüne und Gegengerade glänzten im Anfeuerungsdoppelpaß, denn jetzt gab es alles, was man sich nur wünschen konnte: stürmende Berliner mit gutem Kombinationsspiel, begeisternde Bayernfehlpässe, ein multikulturelles »Zieht den Bayern die Lederhosen aus« (ganz ohne Anfeindungen geht's ja nun auch nicht), zwischendurch immer mal wieder Begeisterungsstürme bei den zahlreichen Kurzwellenempfängern (im fernen Istanbul haute Tabellenführer Galatasaray Toni Schumacher im Fenerbahce-Tor gerade den Kasten voll), und sieben Minuten vor Schluß einen berechtigten Foulelfmeter für Türkiyemspor, den Ahmet Akar zum 1:2-Endstand verwandelte.

Bei der obligatorischen Pressekonferenz erschien der alte Drögstiefel Heynckes dann ohne seinen verbalen Kettenhund Hoeneß, denn in der von ihm so sehr gelobten Freundschaftsspielatmosphäre, die »für uns nicht alltäglich ist«, geht es auch ohne. Auf die jeden Fan interessierenden Fragen nach dem Eindruck des Meistertrainers von Türkiyemspor antwortete er mit Schnarchsackplattitüden, obwohl man bei einer Gage von 50.000 DM doch ruhig ein bißchen mehr als eine Spielfeldanalyse (»Der Boden war gefroren«) und ein lahmes Lob der gegnerischen Abwehr erwarten könnte. Großen Eindruck allerdings machte Türkiyems Nr. 10 auf ihn — Hände weg von Ahmet Akar, Jupp!

Für die ein bißchen enttäuschten Türkiyemspor-Fans bleibt ein kleiner Trost — möglicherweise findet ja eine Revanche gegen die Bayern irgendwann einmal in der ersten Liga statt und wenn schon nicht als Spitzenspiel, so doch vielleicht als Kellerduell? Elke Wittich