Tyminski sammelt weiter Punkte

In einer Fernsehdiskussion mit Walesa stand der mit einer Aura aus Verdächtigungen und Halbwahrheiten umgebene Kandidat im Mittelpunkt/ Nach Meinungsumfragen erhält er 30 Prozent  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen in Polen kann der „Kandidat vom Mars“, wie ihn eine Zeitung nannte, der kanadische Geschäftsmann Stanislaw Tyminski, weiter punkten. Zwar hat sich die Zahl seiner Gegner vergrößert, doch haben bereits die Ergebnisse der ersten Wahlrunde gezeigt, daß Tyminski andererseits auf Mitleidseffekte bauen kann. Die Tatsache, daß praktisch die gesamte polnische Presse gegen ihn steht, hat ihm bisher kaum geschadet. Daß dabei immer mehr zweifelhafte Details aus seiner Vergangenheit ans Tageslicht kommen, stört ihn nicht. „Besser dies, als daß man über mich schweigt“, meint er seelenruhig. Die Rechnung scheint für ihn aufzugehen.

Jüngster Höhepunkt dieser Entwicklung war ein Fernsehduell zwischen Tyminski und Walesa an diesem Wochenende. An Walesa wurden von den Journalisten nur wenige Fragen gerichtet, sie stürzten sich förmlich auf Tyminski. Je aufgeregter die Fragesteller wurden, desto ruhiger antwortete Tyminski, der zwar vielen Fragen auswich, aber dabei zugleich sehr geschickt Andeutungen ausstreute, die den Verschwörungstheorien in der Bevölkerung weitere Nahrung geben dürften. Auf die Frage nach seinen Reisen über Tripolis nach Polen antwortete er, er sei nie in Tripolis gewesen, und legte zum Beweis seine Pässe vor — daß sein kanadischer nicht dabei war, stellte sich erst später heraus. Und über die Frage, warum in seinem Wahlkampfstab ehemalige Geheimdienstler sitzen, setzte er sich hinweg. Er habe davon nichts gewußt, „aber das macht nichts, das sind gute Fachleute“. Dafür ließ er durchblicken, er selbst habe über Walesa kompromittierende Informationen. Walesa ließ sich provozieren, die Journalisten fragten nach, wieder hat Tyminski alle da, wo er sie haben will. Die Kamera nahm mehrmals bedeutungsschwer Tyminskis schwarze Aktentasche ins Bild, in der die „Geheimdokumente“ angeblich aufbewahrt werden. Tyminski hatte es wieder einmal geschafft, ganz im Mittelpunkt der Debatte zu stehen.

Polens Auslandsverschuldung bezeichnet er als „unseren größten Trumpf“, redet davon, daß „Polen noch immer in einem totalitären System“ stecke, und schlägt als Patentlösung „ein anderes Steuersystem“ vor. Nein, er werde gegen die Leute, die in seiner Vergangenheit wühlen, keine gerichtlichen Schritte unternehmen: „Dazu habe ich keine Zeit, ich muß Wahlkampf machen.“

Tyminski kann an einer eindeutigen Klärung der Vorwürfe gegen ihn auch gar nicht gelegen sein. Solange Unklarheit herrscht, solange bleibt er im Rampenlicht. Nur in jener Atmosphäre aus Unklarheit, Verdächtigungen und Anklagen, die nun von seinen Gegnern und den Medien unbewußt angeheizt wird, gedeiht jene fatalistische Grundstimmung, die einen Teil der enttäuschten Bevölkerung Solidarność den Rücken kehren und ihn sich einem vermeintlich „unbelasteten Kandidaten“ zuwenden läßt. Je mehr Gerüchte auftauchen, desto mehr schwindet das Vertrauen in die ohnehin nicht sehr erfahrene politische Klasse, desto mehr Gründe gibt es dann für eine Protestwahl. Und was liegt dann näher, als von zwei Populisten den radikaleren zu wählen?

In den Augen seiner Anhänger steht Tyminski „allein gegen die Mafia“, ganz wie in jener auch in Polen sehr beliebten Fernsehserie. „Am Anfang war ich ganz allein“, sagt Tyminski in seiner Wahlsendung mit trauriger Stimme, „aber jetzt, jetzt stehen Millionen hinter mir.“ Daß inzwischen ROAD, die Christdemokraten, die Bauernpartei und der bisherige Ministerpräsident Mazowiecki zur Stimmabgabe für Walesa aufgerufen haben, dürfte seine Anhänger nur noch darin bestärken, daß „die da oben“ sich gegen den Außenseiter verschworen haben. Am Wochenende empfing Primas Glemp die Leiter der „Centrumsvereinigung“, die Walesa als erste auf ihr Schild hob. Nach den jüngsten Umfragen führt Walesa zwar mit 58 Prozent der Stimmen, doch trotz — oder gerade wegen — der massierten Angriffe auf seine Person hat Tyminski nun mehr Unterstützung als je zuvor: Auf 30 Prozent hat er sich inzwischen hochgearbeitet.