Japaner im hessischen Musterdorf

Auf der Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die „Uruguay-Runde“ des Gatt bereisen japanische Bauern die BRD  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Mutsumi Watanabe von der japanischen Insel Hokkaido schlug entsetzt die Hände überm Kopf zusammen. Was bot sich seinen Augen? Eine „laiphaftige“, gut abgehangenen Blutwurst im Rauchfang der „Bioland“-Schlachterei im nordhessischen Dörfchen Rambach. Die Hausfrau aus dem Land der Rohkost und der gedämpften Reiskörner wollte erst nicht glauben, daß die „Langnasen“ tatsächlich geronnenes Schweineblut mit Speckgrieben in Därme abfüllen, in ihre Häuser hängen und das Zeug dann nach Wochen auch noch essen. Doch am Abend, als „das Zeug“ des Rambacher Bio-Metzgers — Aale Worscht und Leber- und Blutwürste — appetitlich angerichtet aufgetragen wurde, da langte auch Mutsumi Watanabe zu. Schließlich hält der Rambacher Nebenerwerbslandwirt in seinem Stall die schönsten Schweine Hessens.

Mutsumi Watanabe und 14 weitere JapanerInnen besichtigten Ende letzter Woche auf Einladung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck die hessische Mustergemeinde Rambach — hart an der ehemaligen Grenze zur ehemaligen DDR gelegen und seit Jahren ein Experimentierfeld für Dorferneuerungsverfahren und landwirtschaftliche Pilotprojekte. Geduldig ließen sich die zwei Frauen und dreizehn Männer aus Nippon von Bürgermeister Meurer und Pfarrer Perels durch die Ställe und Scheunen, Backhäuser und Schlachtküchen der 200-Seelen- Gemeinde im Werra-Meißner-Kreis schleppen — die Fotoapparate immer schußbereit in den Händen.

Delegationaleiter Shoji Murayama, der Vorsitzende des japanischen Dachverbandes der Landwirtschaftskooperativen, und seine BegleiterInnen sind nach Rambach gekommen, um von den bundesdeutschen Berufskolleginnen und Kollegen zu erfahren, wie man als Bauer oder Nebenerwerbslandwirt in einer Region überlebt, in der die einheimische Agrarproduktion nicht durch Importverbote geschützt wird. Sie sind gerade jetzt nach Europa gekommen, um gegen die heute in Brüssel beginnenden Abschlußverhandlungen der „Uruguay-Runde“ des Gatt zu protestieren. Bei diesen Verhandlungen sollen — auf Druck vor allem der USA — die seit Jahrhunderten in Japan hochangesehenen Reisbauern über die Aufhebung der Importsperren für ausländischen Reis in einen „mörderischen Existenzkampf“ hineingetrieben werden, wie Murayama im Anschluß an die Ortsbesichtigung erklärte.

Mehr als zwei Millionen Bauernfamilien leben in Japan vom Reisanbau. Und der Tenno selbst pflanzt im Frühjahr symbolisch das erste Reiskorn für die neue Ernte in die heilige Erde im Garten des Kaiserpalastes. Sollten sich in Brüssel die US-Amerikaner mit ihrer Forderung nach weltweiter Abschaffung aller Zoll- und Handelschranken durchsetzen, befürchten die Japaner die Überschwemmung ihres streng strukturierten inländischen Reismarktes mit billigem „Uncle Ben's“-Reis aus den Staaten. Das würde, meint Murayama, schließlich Hunderttausende von japanischen Familien in Not und Elend stürzen und den gesamten ländlichen Lebensraum gefährden.

Wie sich die Menschen in der kargen Mittelgebirgsregion um Rambach Nieschen für den Weiterbetrieb ihrer Höfe zumindst als Nebenerwerbslandwirte gesichert haben, das beeindruckte die japanischen Delegationsmitglieder aus Verbaucher-, Umwelt- und Agrarverbänden und einer großen Bauernorganisation. Auch wenn die Appelle zur Umstellung hin zum ökologischen Landbau in Japan auf noch weniger fruchtbaren Boden fallen als in der BRD.

Daß in Rambach neben der Einrichtung einer „Bioland“-Metzgerei und der versuchsweisen Installation einer Dinkel-Produktionsanlage auch alte Handwerkstraditionen wiederbelebt werden, stieß bei den traditionsbewußten Japanern gleichfalls auf reges Interesse. Auch in den ländlichen Regionen Nippons wandern die jungen Leute in die Städte ab, und die Dörfer vergreisen.

In den Rambachern jedenfalls haben die Japaner Verbündete im Kampf gegen die drohenden Gatt- Beschlüsse gefunden, denn auf der Gatt-Konferenz der 107 Mitgliedsstaaten stehen umfangreiche Subventionsstreichungen auf dem Programm, die europaweit gerade Kleinbauern und Nebenerwerbslandwirte zur Betriebsaufgabe nötigen würden. Um denen in Brüssel „ordentlich Dampf machen“ zu können, so Shoji Murayama, seien andere japanische Reisbauern und Agrarexperten in anderen europäischen Ländern auf Tour, denn „nur gemeinsam können wir Bauern etwas erreichen“.

Finanziert wurde die Reise der rund 80 Mitglieder der japanischen Europa-Delegation, die heute mit Reissäcken mit aufgedruckten Protestparolen in Brüssel demonstrieren wollen, über Spenden und einen Eigenbeitrag. Zu Deutschland und den Deutschen hätten die Japaner ohnehin schon immer ein gutes Verhältnis gehabt, meinte der 75jährige Murayama zum Abschluß des Besuchs in Rambach. Er selbst sei schließlich als „Kriegsheld“ in den 40er Jahren in die deutsche Botschaft in Tokyo eingeladen und dort „vorzüglich bewirtet“ worden. Alte Liebe rostet offenbar immer noch nicht.