Chaos im Berliner Wahlamt

■ Die erste Gesamtberliner Wahl wurde von Computerausfällen und Wahlhelfern im Ostteil kompliziert/ Endergebnis erst nach 17 Stunden

Berlin. Der Zahlensalat bei der ersten Gesamtberliner Wahl nach 44 Jahren hatte es in sich. Landeswahlleiter Günther Appel zog gestern resigniert Bilanz: »Wir sind voll auf den Bauch gefallen, wir müssen das so akzeptieren.« Der erfahrene Spitzenbeamte hatte 17 Stunden gebraucht, bis er das vorläufige amtliche Endergebnis vorlegen konnte.

Freude über die Teilnahme der Berliner an der Bundestagswahl schlug nach seinen Worten noch während des Wahlgangs in Frust um. Der mit 40 Zentimetern längste Stimmzettel in Deutschland, auf dem 17 Parteien standen, habe für Irritationen gesorgt. »Die Leute studierten die Wahlzettel in den Kabinen viel länger als sonst«, sagte Appel. Noch mehr Zeitverlust habe es gegeben, weil viele Wähler nicht gleich wußten, wie man den langen Stimmzettel »in den Umschlag stopft«.

Dann sei um 14.00 Uhr wegen Statikproblemen ein wichtiger Wahlrechner ausgefallen. Er war nach einigen Stunden wegen Zerstörungen im Programm nur wieder »begrenzt einsatzfähig«. Dies sei der entscheidende Verzögerungsfaktor gewesen. Danach habe es Chaos bei der Übermittlung der Wahlergebnisse gegeben. Sie mußten in der Zentrale von Hand aufgenommen werden. Örtliche Wahlleiter verloren den Überblick über den Stand der Auszählung und »gingen nach Hause«, wie Appel sagte. Teilweise seien die gemeldeten Ergebnisse »unstimmig und unplausibel« gewesen: »Die Protokolle waren manchmal in unübersichtlichem, wirrem Zustand.«

Appel hält nach eigenen Angaben den Beweis in Händen, daß in einigen Stimmbezirken »doppelt ausgezählt« worden sei. Aus anderen Bezirken seien nur die Erst-, aber keine Zweitstimmen durchgegeben worden. Wieder andere Bezirke hätten eine Minute nach Schließung der Wahllokale eine »vollständige Ergebnisliste« gemeldet, was »wenig einsehbar« sei.

Woanders sei die Regel nicht eingehalten worden, erst die Bundestagswahl auszuzählen, dann die Berliner Zweit- und zuletzt die Berliner Erststimmen. Ein Wahlvorstand aus dem Ostteil habe einen Boten entsandt, als er merkte, daß er telefonisch oder auf Datenleitung nicht zum Wahlamt durchkam. Aber anstatt die Unterlagen mitzubringen, habe der Bote ein Blatt Papier vorgelegt, auf dem das angebliche Ergebnis per Hand abgeschrieben war.

Und dann hätten die Ergebnisse von 4,5 Prozent der Stimmbezirke gefehlt: »Wir wissen nicht, warum sie nicht gemeldet haben«, klagte Appel. »Und schließlich haben wir die Post in ihrer Möglichkeit überschätzt, in Ost-Berlin neue Telefonleitungen zu legen.« Erst am Samstag, einen Tag vor der Wahl, sei es zu dem »Echttest« einer Datenleitung von Ost nach West gekommen. Frieder Reimold (ap)