„Wenn man an der Macht ist, möchte man dort auch bleiben“

■ Ein Gespräch mit Dr. Ndembwela H. Ngunagwa, Politiker der Einheitspartei CCM, über die Aussichten auf Demokratie in Tansania und die jüngsten Protestbewegungen INTERVIEW

Ndembwela Hilmar Ngunangwa war Kandidat der Einheitspartei CCM für Süd-Njombe bei den letzten Parlamentswahlen. Er schaffte den Einzug ins Parlament nicht (den Wählern stehen pro Wahlkreis jeweils zwei Kandidaten der Einheitspartei zur Wahl). Zur Zeit ist Ngunangwa Manager bei der staatlichen Energiegesellschaft Tanesco in Magamoyo.

taz: Warum tut sich Tansania bei der Einführung eines Mehrparteiensystems so schwer?

Die Mehrheit der Menschen lebt in ländlichen Gebieten, wo die Kommunikation sehr schwierig ist. Sie nimmt nicht an der Diskussion teil. Sie ist darüberhinaus sehr skeptisch darüber, was ein Mehrparteiensystem bringen kann. Ich glaube, es dürfte auch nicht einfach sein, sie dazu zu bringen, ein System zu akzeptieren, das sie nicht kennen. Unterdessen geht die Debatte innerhalb der Elite, den Intellektuellen weiter, die starke Eigeninteressen hat. Sie glauben, daß die CCM zu lange das Machtmonopol innegehabt hat. Sie wollen an der Macht beteiligt sein, und wir wissen nicht, wohin der Weg uns letztendlich führen wird, denn wir wissen nicht, was das Interesse des Volkes ist.

Warum fragen Sie es nicht?

Nachdem nun alle politische Arbeit geleistet worden ist, die Informationsarbeit unter der ländlichen Bevölkerung beendet ist, muß sie in die politische Diskussion einbezogen werden. Es ist sehr schwer abzuschätzen, ob viele Tansanier in einer Mehrparteiensystem übergehen wollen.

Was ist der Standpunkt der CCM in Bezug auf ein Mehrparteiensystem?

Nun, wenn man an der Macht ist, möchte man dort auch bleiben. Ich glaube nicht, daß die Partei ernsthaft die Macht mit einer anderen Partei teilen möchte. Außerdem wäre die Umsetzung sehr schwer. Anders als in anderen Ländern ist der Beamtensektor nicht neutral, ebensowenig das Militär. Nichts ist neutral in unserem Land. Um einen einflußreichen Posten in irgendeinem dieser Organe zu bekommen, muß man Parteimitglied sein. Wie also reorganisieren wir das System?

Als eine Bedingung für finanzielle Hilfe wird in letzter Zeit immer mehr der Ruf nach politischen Reformen laut.

Ich glaube, diejenigen, die diese Forderung stellen, verstehen unsere Kultur nicht. Sie verstehen die afrikanische Mentalität nicht. Sie wissen weder etwas über unsere sozio-ökonomischen Systeme noch über unser koloniales Erbe. Wir hatten eine Periode von mindestens vierzig Jahren Kolonialherrschaft durch eine Regierung, die nicht vom Volk gewählt war. Dann wurden wir unabhängig mit einem Einparteiensystem. Damit sind wir dreißig Jahre alt geworden. Wir können weder in das alte koloniale System zurückfallen noch in das alte traditionelle afrikanische System, das untergegangen und vergessen ist. Niemand erinnert sich mehr daran, wie dieses System einmal ausgesehen hat. Das Beste wäre, die Veränderung willkommen zu heißen, anstatt sie zu bekämpfen.

Wie wollen Sie denn, daß man die Veränderung in Tansania willkommen heißt?

Nun, ich denke, die westlichen Geberländer sollten uns Zeit lassen, herauszufinden, wie wir die Idee des Mehrparteiensystems etablieren können. Das Einparteiensystem zu restrukturieren braucht Zeit. Das kann nicht in einem oder zwei oder drei Jahren geschehen.

Im April wurde die Universität wegen studentischer Proteste geschlossen. Worum ging es dabei?

Die Regierung glaubt, daß die Krise politischer Natur und destabilisierend war. Wir haben nicht alle Fakten, da die Massenmedien einseitig über die Ereignisse berichtete. Als regierungseigene Organe bevorzugten sie natürlich die Regierungsseite. Sie ließen die Studenten und die Universitätsverwaltung gar nicht zu Wort kommen. Bis jetzt konnte ich noch kein klares Bild gewinnen.

Was geschieht mit den Studenten, die nach Hause geschickt wurden? Können sie ihre Studien beenden?

Die Universität wird ihre Tore unter neuen Bedingungen wieder öffnen. Beispielsweise müssen künftig Gebühren bezahlt werden. Die Regierung ist zu dem Ergebnis gekommen, daß ihre finanziellen Möglichkeiten völlig erschöpft sind. Die Universität soll vollkommen rehabilitiert werden, so daß sie Juni nächsten Jahres wieder geöffnet werden kann. Ich weiß nicht, was mit den Studenten geschehen soll.

Wie wird Tansania nach Nyerere aussehen?

Nyerere war ein starker politischer Führer, vielleicht einer der stärsten in Afrika. Diese Tatsache hat uns positiv wie negativ geholfen. Positiv war die Tatsache, daß Tansania auf der Weltkarte erschien, unabhängig wurde und seine eigene unabhängige tansanische Politik verfolgte. Aber im 20.Jahrhundert kann sich kein Land mehr erlauben, sich zu isolieren. Insofern hat Nyerere mit seinen Autonomiebestrebungen uns auch in negativer Weise gedient. Mwinyi ist nicht so stark wie Nyerere, aber ich glaube, daß er den Vorteil hat, sich mehr beraten zu lassen. Es gibt mehr Agitatoren in der politischen Arena. Es wird mehr wirtschaftliche Freiheiten geben. Letztendlich wird auch das Mehrparteiensystem kommen, denn die jüngere Generation denkt anders, und sie gewinnt an Einfluß in diesem Land.

Ein Wort zur Korruption.

Korruption ist das Ergebnis der ökonomischen Krise. Wenn die Menschen nicht über die Runden kommen, dann bedienen sie sich einfach von woanders. Der Arzt nimmt von dem Hospital, in dem er arbeitet, der Lehrer nimmt sich durch spezielle Arrangements oder von den Schulgeldern, und so weiter. Wenn wir unsere Wirtschaft stabilisieren und die Leute wieder genügend Geld verdienen und die Preisrelation wieder stimmt, dann könnten wir auch die Korruption kontrollieren. Es ist eine Illusion, gegen Korruption zu predigen und zu hoffen, daß man sie damit abschaffen könnte.

Wie sieht das Verhältnis zwischen den Religionen in Tansania aus?

Tansania hat über die Jahre hinweg eine Kultur der religiösen Toleranz entwickelt. Vielleicht ist es hier am tolerantesten in ganz Afrika. Doch die letzten Entwicklungen, ausgehend von der Revolution auf Sansibar 1964, in der eine arabische Regierung von Schwarzen gestürzt wurde, eine Wende gebracht. Die Araber versuchen nun, durch die Hintertür wieder hereinzukommen, um die sansibarische Führung zu destabilisieren. Sie können dies jedoch nicht tun, ohne gleichzeitig die Unionsregierung zu stören.

Sie sprechen von den Unruhen auf Pemba?

Ja, dies ist eine von Arabern inszenierte Geschichte. Religion ist kein Problem, Stämme sind kein Problem. Aber Leute, die Machtambitionen haben, benutzen religöse oder tribalistische Ängste, um an die Macht zu gelangen.

Wer steckt nach Ihrer Meinung hinter den arabischen Unruhestiftern?

Das möchte ich hier nicht kommentieren, aber die Araber, die einst das Sultanat Sansibar errichtet hatten, kamen aus Oman. Solche Länder sind es also. Ich weiß nicht, wie es mit dem Iran aussieht, aber die frühere Regierung kam aus Oman.

Was hat die Golfkrise für einen Einfluß?

Einen negativen. Wie Sie wissen, ist der Öl- und Gaspreis gestiegen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber für uns ist es sehr schwerwiegend. Bei uns sagt man: Wenn sich zwei streiten, ist der Dritte schnell dabei. Interview: Jürgen Klußmann