„Was ist denn dieses Gatt überhaupt?“

■ Die US-amerikanische Farmerin Pam Baldwin über die Sorgen ihre KollegInnen INTERVIEW

Washington (taz) — Bis vor einem halben Jahr hatte Pam Baldwin in der Nähe von Boise, im nördlichen US-Bundesstaat Idaho, eine Farm mit 150 Milchkühen und 80 Acres Land mit angebautem Kornfutter. Wie viele andere Kleinbauern auch, wurde sie durch die allgemeine Überproduktion von Milch und den nachfolgenden Preisverfall gezwungen, ihre Kühe zu verkaufen. Heute, ohne Farm, aber mit viel Engagement, beantwortet sie die farm hotline in Idaho, eine Art Sorgentelefon für die LandwirtInnen des US-Bundesstaates.

taz: Welche Auswirkungen wird denn ein Gatt-Abkommen mit weiterem Subventionsabbau auf die Bauern in Idaho haben?

Baldwin: Die Milchpreise würden weiter sinken, weil die Importe von Käse und Trockenmilchprodukten nicht mehr beschränkt würden.

Was würden Sie denn gerne als Ergebnis der Gatt- Verhandlungen in Brüssel sehen?

Ich denke, daß jedes Land das Recht haben sollte, seine Bauern zu schützen, sei es nun durch Importbeschränkungen oder, wenn nötig, auch durch andere Maßnahmen. Europa hat es klugerweise verstanden, seine Bauern zu schützen und ihre Existenz zu sichern. Wenn wir in den USA mehr Angebotsmanagement hätten, in allen Produktbereichen vom Getreide bis zur Milch, dann könnten auch wir höhere Preise erzielen. Die amerikanischen Verbraucher könnten ruhig ein wenig mehr für ihre Lebensmittel zahlen, als sie es im Augenblick tun.

Was meinen Sie mit Angebotssteuerung?

Daß jede Farm zum Beispiel für eine bestimmte Milchmenge einen festen Preis bekommt, der nur dann sinkt, wenn darüber hinaus produziert wird.

Die Bush-Administration behauptet, sie vertrete bei den Gatt-Verhandlungen die amerikanischen Interessen. Aber wenn sie nicht Ihre Interessen vertritt, wessen denn?

Es sind die großen multinationalen Getreidehändler und Nahrungsmittelkonzerne wie Cargill und Continental Grain, die von den Gatt-Verhandlungen profitieren werden.

Sie gehörten zu den rund 600.000 sogenannten „family farms“. Werden denn alle kleinen und mittelgroßen Farmer in den USA, egal was sie anbauen, unter dem angestrebten Gatt-Abkommen leiden?

Ich glaube, daß fast alle Farmer negativ betroffen sein werden, vielleicht mit Ausnahme einiger hochspezialisierter Höfe. Ich weiß, daß sich die Rinderzüchter Sorgen machen, daß die Getreidebauern Angst vor einem Preisabfall haben. Die Zuckerbauern wissen, daß sie ohne ihre Subventionsprogramme international nicht mehr konkurrieren können.

Wenn das so ist, warum sehen wir in den USA denn keine Bauerndemonstrationen wie in Europa?

Der Regierung ist es bisher fast gelungen, alle negativen Auswirkungen von Gatt zu verheimlichen. Allein die „grass roots“-Farmgruppen haben versucht, Gatt zum Thema zu machen. Mit großen Zugangsschwierigkeiten in den Medien. Erst jetzt erscheinen in einigen Agrarmagazinen Artikel, die die negativen Effekte auf den Anbau verschiedener Getreidearten beschreiben. Ich bekomme jetzt die Anrufe von erschrockenen Milchbauern, die mich fragen: „Was ist denn dieses Gatt überhaupt? Interview: Rolf Paasch