Schlangestehen für den Aktienkauf vor Polens Banken

Die ersten fünf polnischen Staatsfirmen werden privatisiert/ Die Regierung in Warschau kündigt Steuererleichterungen für privatisierte Betriebe an  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Lange Schlangen vor den Bankschaltern, Werbespots im staatlichen Fernsehen und riesige Anzeigen des Privatisierungsministeriums in allen großen Zeitungen — erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind am Freitag in Polen wieder Aufträge für den Kauf von Aktien angenommen worden. Die Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘ veröffentlichte zeitgleich Prospekte mit den Eröffnungsbilanzen, den Gewinn- und Verlustrechnungen, Geschäftsberichten und Marktanalysen der fünf Firmen, die als erste privatisiert werden. Nach den Vorstellungen der Regierung sollen im kommenden Jahr 15 Prozent der 7.000 staatlichen Großbetriebe privatisiert werden, in den Jahren darauf jeweils weitere 20 Prozent. Die Wertpapiere werden in Paketen zu je fünf Stück zu einem Preis zwischen 50.000 und 112.000 Zloty (15,70 D-Mark bis 32,40 D-Mark) pro Aktie verkauft.

Zunächst können InteressentInnen ihre Anträge einreichen: Formulare, auf denen angegeben werden muß, wieviele Aktienpakete gewünscht werden, liegen in ausgewählten Banken im ganzen Land aus. Da die Warschauer Börse erst nächstes Jahr eröffnet wird, bedient man sich in diesem Jahr noch dieses Weges: Übersteigt die Nachfrage das Angebot, werden die Aktienpakete proportional verteilt, bis dahin bleiben die eingezahlten Mittel unverzinst. Schon jetzt allerdings zeigt sich, daß die Nachfrage die Erwartungen bei weitem übersteigt. Besonders in Krakau, so berichtete das Fernsehen, seien die Banken schlecht auf den Ansturm der Subskribenten vorbereitet gewesen. Stundenlange Wartezeiten versauerten den angehenden Kapitalisten die Privatisierung.

Zu den Betrieben, die als erste privatisiert werden, gehören das Bau- und Handelsunternehmen Exbudu mit 11.000 Beschäftigten, die Glashütte in Krosno, die Textilfabrik Brochnik aus Lodz, die schlesischen Kabelfabriken sowie der Lautsprecherhersteller Tonsil. Die fünf Firmen waren am 1.Oktober zunächst in sogenannte Gesellschaften des Staatsschatzes umgewandelt worden. Ihr Gesamtwert beträgt rund 500 Milliarden Zloty (etwa 85 Millionen D-Mark).

Nach einer Umfrage des polnischen Meinungsforschungsinstituts OBOP wollen 23,8 Prozent der Polen einen Teil ihrer Ersparnisse in Aktien anlegen; 60,5 Prozent aber stehen der Operation eher skeptisch gegenüber — weil sie kein Geld haben oder glauben, sich nicht genügend auszukennen. Allgemein herrscht die Ansicht, Aktien seien nur etwas für Reiche. Genau dieser Ansicht möchte das Privatisierungsministerium entgegentreten: Die Aktienpakete sollen möglichst weit gestreut werden. Zusätzliche Attraktion: Staatsanleihen können mit 20prozentigem Bonus zur Bezahlung der Aktien eingereicht werden.

Die Belegschaften der ersten fünf Betriebe können zu Vorzugsbedingungen bis zu 20 Prozent des Gründungskapitals erwerben. Wie die 'Gazeta Wyborcza‘ meldet, erwägt das Privatisierungsministerium für die zweite Hälfte des Jahres 1991 auch die Ausgabe von Privatisierungsbons im Wert von einer Million Zloty pro Bürger (rund 150 D-Mark), die dann gegen Aktien eingetauscht werden können. Auf diese Weise sollen 30 Prozent der größten Staatsbetriebe privatisiert werden. Weitere 20 Prozent soll die staatliche Sozialversicherung ZUS erhalten, zehn Prozent Polens Banken und dreißig bleiben beim Staat. 150 bis 200 Großbetriebe sollen so losgeschlagen werden. Fachleute warnen die künftigen Investoren allerdings, daß mit schnellem Reichtum durch Aktienbesitz kaum zu rechnen sein wird. Ein Experte des Finanzministeriums: „Erst die Summe aus Dividende und Wertzuwachs einer Aktie kann dann die Sparzinsen überflügeln.“

Im kommenden Jahr soll die Lohnzuwachssteuer von der Eigentumsstruktur der Unternehmen abhängig gemacht werden. Private und privatisierte Betriebe werden dann ganz von ihr ausgenommen sein — ihre Löhne können dann ohne Begrenzung nach oben wachsen, wie dies bereits jetzt bei Joint-ventures der Fall ist. Betriebe, die in Aktiengesellschaften des Staates verwandelt wurden (die erste Stufe auf dem Weg zur Privatisierung) erhalten Lohnsteuernachlässe, Genossenschaften und Staatsbetriebe auf bisheriger Basis können Lohnerhöhungen in Form von Staatsanleihen und Aktien ohne zusätzliche Steuerbelastung durchführen. Vorerst ist das allerdings nur ein Gesetzentwurf, Sejm und Senat, in dem bisher allerdings die Lohnzuwachssteuer heftig kritisert wurde, müssen dem noch zustimmen.

Rechtskräftig wird dieser Tage allerdings bereits eine Verordnung des Finanzministers über die „Nutzung von Staatseigentum“, welche die Privatisierung per Auflösung regelt. Demnach können die Belegschaften kleinerer staatlicher Betriebe deren Anlagevermögen pachten oder leasen. Im ersten Fall erhalten sie nach drei Jahren ein Vorkaufsrecht. Die Verordnung regelt darüberhinaus die Höhe der Abgaben an die Staatskasse — sie wachsen schrittweise, um hohe Belastungen in der ersten Phase der Selbständigkeit zu vermeiden.