KOMMENTAR
: Grüne Depression

■ Ein politischer Denkzettel und seine Folgen

Es ist bezeichnend, daß es am Sonntag abend ausgerechnet Max Strauß war, der Sohn des legendären FJS, der die verheerende Wahlniederlage der Grünen als das bedrückendste Ergebnis der ersten gedamtdeutschen Bundestagswahl bedauerte. Offenbar spüren politische Gegner der Partei besser als die grüne Klientel was diese Wahlniederlage bedeutet. Erschrocken über den eigenen Denkzettel, beginnt aber auch die beleidigte Stammwählerschaft langsam zu begreifen. Denn ganz so schlimm wollte man es ja doch nicht. Würde morgen nochmal gewählt, die Grünen erreichten bequem sieben Prozent, aber was nützt das jetzt noch?

Der Rauswurf der Grünen aus dem Bundestag ist ein entsetzlicher Verlust und ein schwerer Rückschlag, den ein CDU-Umweltminister Töpfer vielleicht mehr bedauern wird, als manche grünen Parteiideologen. Auch die launig-aufmunternden Zukunftsbilder von einer wohltuenden Zwangspause zur Selbstreinigung der Partei können diesen Verlust nicht wegdiskutieren. Mit den Grünen geht ein Stück Transparenz der Bonner Bühne verloren, aber auch ein unersetzlicher Informationspool und eine trotz allem immer lebendige Widerspruchsinstanz. Die acht Einzelkämpfer vom Bündnis 90 und den Ost-Grünen werden als Parlamentsneulinge und ohne Fraktionsstatus im neuen Bundestag der 650 dieses Loch sicher nicht stopfen können. Aber sind die Grünen nicht an allem selber schuld?

Natürlich ist die Blöße auf Dauer ein schlechtes Profil für eine Partei. Schon lange war das Publikum vom öffentlichen Dauerstreit abgenervt. Die mangelnde politische Professionalität der Grünen hat tatsächlich Konsequenzen verlangt, wenn auch nicht diese brutale Lektion. Es gibt neben vielen vor allem einen Grund für die Niederlage: Die Grünen haben ständig ihre besten Köpfe rausgeworfen, sie haben regelmäßig bestraft, wer sich exponiert hat, und sie haben ignoriert, daß Politik von Menschen gemacht wird, daß eben nicht nur die grüne Partei zur Wahl steht, sondern auch Kelly, Vollmer, Ditfurth, Nickels, Fischer mit ihrer ganz persönlichen politischen Phantasie. Das Rotationsprinzip der Grünen gehört deshalb ganz schnell dorthin, wo es schon lange hingehört: auf den Müllhaufen der verbohrten Parteiideologien.

Weil es niemand genau, aber alle besser wissen, werden die Grünen jetzt inquisitorisch nach Ursachen und Schuldigen suchen. Und es ist zu befürchten, daß aus dem Selbstreinigungsprozeß der Partei schnell ein masochistisches Gemetzel wird. Die Stunde der Niederlage wird auch zur Stunde der Abrechnung werden. Wer jemals in linken Zusammenhängen gearbeitet hat, weiß wie zerstörerisch solche Prozesse ablaufen. Ob die Partei diese Niederlage überleben wird, ist noch lange nicht sicher. Denn das einzige, was die Bundespartei zuletzt noch zusammengehalten hat, war ihre Präsenz im Bundestag. Angesichts dieser Aussichten ist die Depression die einzig vernünftige Reaktion auf das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag. Schon die nächste Landtagswahl in Hessen kann das endgültige Aus für die Partei bedeuten. Manfred Kriener