„Ich würde die Fusion aussetzen“

■ Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter des Bündnis 90/Grüne, über die grüne Wahlschlappe INTERVIEW

taz: Empfinden Sie so etwas wie klammheimliche Freude angesichts des schlechten Abschneidens der Grünen-West im Vergleich zu den Bürgerbewegungen der DDR?

Werner Schulz: Nein, eher Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, weil ich nicht damit gerechnet habe, daß die Grünen-West nicht ins Parlament kommen. Ich glaube, daß uns das vor ziemlich schwierige Aufgaben stellt. Ich habe mir von dem Prozeß, der jetzt einsetzt, viel mehr versprochen, nämlich, daß wir in diesen vier Jahren Zeit genug haben werden aufeinander zuzugehen.

Welche Konsequenzen hat das Ergebnis für das Zusammengehen mit den Grünen-West?

Konsequenzen wird das erst einmal für die parlamentarische Arbeit haben. Wir sind ganz wenige Leute, haben keinen Fraktionsstatus, und wir können noch nicht einmal alle Ausschüsse besetzen. Da werden wir relativ wenig ausrichten können. Dazu kommen wir aus der DDR. Die Gesamtproblematik, die es im Parlament zu diskutieren gibt, können wir noch nicht überschauen. Wir sind in vielen Dingen Anfänger und wären darauf angewiesen gewesen, in der Fraktion den Diskussionsprozeß zu führen, die Erfahrungen aus beiden Gesellschaftsordnungen zusammenzubringen. Das wäre unser Plus und auch das Spannende gewesen. Jetzt fehlt uns der Gesprächspartner-West im Bundestag, und wir müssen ein Stück Alt-Bundespolitik mit ersetzen, obwohl wir nur Erfahrungen mit der DDR haben. So können wir uns nur stichpunktartig auf Oppositionspolitik beschränken.

Sind die Grünen-West künftig der außerparlamentarische Arm der Fraktion Bündnis 90/Grüne-Ost?

Das geht ja gar nicht anders. Wir werden nicht mehr als ein Sprachrohr für die Bürgerbewegungen im Osten und die Grünen im Westen sein.

Für die Grünen ergibt sich angesichts der anstehenden Fusion zwischen Ost und West noch einmal eine besondere Situation. Da haben sich die Verhältnisse ja geradezu verkehrt. Wird sich das auf Ihre Arbeit positiv oder negativ auswirken?

Ich würde die Fusion in diesem Moment aussetzen. Ich glaube, wir wären gut beraten, im Moment noch etwas Zeit zu gewinnen, um darüber nachzudenken, wie es überhaupt weitergehen soll. Beim Zusammengehen ist man ursprünglich davon ausgegangen, daß beide Seiten im Parlament sitzen werden. Nun stehen wir vor einer völlig anderen Situation. Da halte ich das Modell von Sachsen, wo man im Moment dabei ist, zwischen Grünen und Bürgerbewegungen eine Fusion im Land herbeizuführen, für einen spannenden Diskussionsprozeß. Später kann man vielleicht die Grünen-West und das, was sich in den Ostländern neu konstituiert hat, zusammenführen.

Zielt das auf die Gründung einer einheitlichen Bürgerbewegung der DDR, zu der die Ost-Grünen ja letztlich auch gehören?

Für die Ostbundesländer stellt sich das erst einmal als Aufgabe. Die Grünen sind natürlich genauso gefragt, inwieweit sie sich selbst jetzt infrage stellen und sich mit einbringen. Denn die grüne Idee hat ja so nicht gegriffen. Das Thema Klimakatastrophe als rein ökologisches Thema im Wahlkampf war total verfehlt. Das zum Thema zu machen, war so, als hätte man die ganzen Ereignisse von 1989 und 1990 gar nicht zur Kenntnis genommen. Es ist vielleicht global gedacht das wichtigste Thema, aber es ist momentan nicht das Thema gewesen, was die Leute im Innersten bewegt. Insofern haben die Grünen jetzt die Chance, auch über ihre eigenen Inhalte zu diskutieren. Hier gilt es, anstelle eines schnellen organisatorischen Zusammenschlusses einen neuen Ansatz zu finden. Interview: Beate Seel