Was nicht reinpaßt, das fällt eben raus

■ WissenschaftlerInnen der Ostberliner Akademieinstitute kritisierten die Überprüfung durch die Kommissionen des Wissenschaftsrates/ Verfahrensfehler müssen einklagbar sein/ Wissenschaftsrat weist Kritik der Akademiker zurück

Berlin. Der Evaluationszug des Wissenschaftsrates rollt weiter durch den Osten Deutschlands. Die Geprüften werden mit einem Gefühl der Unsicherheit zurückgelassen. Wissenschaftler der bereits evaluierten Institute der ehemaligen Akademie der Wissenschaften (Ost) berichteten jetzt von ihren Erfahrungen auf einem Hearing des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi).

Es kann Zufall sein, daß sich die Berichte der acht Institute sehr ähnelten. Doch die Überprüften selbst glauben eine Methode bei der Behandlung durch die Evaluatoren zu erkennen. Kaum einer der Wissenschaftler vertraut noch den Aussagen, daß es sich um einen »normalen Vorgang« der fachlichen Bewertung handelt, wie es der Wissenschaftsrat darzustellen versuche und wie es die meisten Akademiemitglieder im Juli befürworteten. Es gehe nicht um die routinemäßige Evaluation eines einzelnen Instituts, sondern um die wissenschaftliche Intelligenz eines nicht mehr existierenden Landes, die zur Disposition gestellt wird. »Ein makabrer politischer Vorgang, den es bislang in der deutschen Wissenschaftsgeschichte nicht gegeben hat«, resümierte Jutta Petersdorf vom Institut für Wissenschaftsforschung, dem kaum eine Zukunftschance eingeräumt wurde.

Nüchtern stellten die WissenschaftlerInnen fest, daß mit ihnen geschieht, was ohnehin im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde: die »Einpassung von Wissenschaft und Forschung« der ehemaligen DDR in »die gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik«. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in Kröpfchen.

Im Institut für Literaturgeschichte könnten sich die Evaluatoren die »Rückführung einzelner Bereiche an die Universitäten« durchaus vorstellen, meint der Literaturhistoriker Wolfgang Ulm und nennt das die »Fernsehlösung«. Ehemals zentralistische Einbindungen sollen mit den jetzt geltenden förderalistischen Strukturen kompatibel gemacht werden: Was da nicht rein paßt, fällt raus. Doch ohne Zweifel würden wichtige Struktur- und Finanzfragen — das Land Berlin kann die knapp 50 ehemaligen Akademieinstitute nicht allein tragen — unabhängig von den Inhalten der Forschung diskutiert, beklagt Ulm. »Wir wurden weder nach unseren gegenwärtigen noch nach den künftigen Forschungsgegenständen befragt.«

Unkenntnis über den Forschungsstand

Ähnliche Erfahrungen machten die WissenschaftlerInnen am Zentralinstitut für Elektronenphysik und am Institut für Deutsche Geschichte. Dort wurden den MitarbeiterInnen die gleichen Fragen gestellt, wie sie zuvor schon auf den Fragebögen des Wissenschaftsrates beantwortet wurden. Immer wieder kritisierten die Überprüften, daß in den Kommissionen die DDR-Vertreter und internationale Gutachter fehlten oder hoffnungslos in der Minderheit waren.

Als regelrecht peinlich empfanden die Akademiker die ihrer Ansicht nach offensichtliche Unkenntnis über den Forschungsstand in der ehemaligen DDR insgesamt. »Wie kann man in der eingemauerten DDR an der Rechtsentstehung im Inkareich arbeiten?« hieß es am Institut für Rechtswissenschaften oder »Wie können sie über Methoden des Pluralismus forschen, wenn sie dafür nicht ausgebildet wurden«, lauteten ernsthafte Fragen der Begutachter am Institut für Allgemeine Geschichte. Über die Zukunft der Historiker nachdenkend, erkundigten sich die Evaluatoren ganz simpel: Was könnten sie machen, was in der Bundesrepublik nicht gemacht wird?

Ganze Bereiche, wie die Plasmaforschung am Institut für Elektronenphysik, die ein Drittel der Forschung ausmacht, blieben bei der Bewertung außen vor, weil die Experten fehlten. Die Idee der Kommission, die Plasmaphysik nach Greifswald zu verlegen, blieb genauso vage wie der Gedanke, die Literaturhistoriker, die Rechtswissenschaftler oder die Historiker an die Universitäten zu binden. Die konkreten Konzepte der Institute hätten kaum die Aufmerksamkeit der Kommissionen gefunden oder wurden als unrealisierbar verworfen, so der Tenor der Erfahrungsberichte.

Die Akademiker plädierten deshalb für einen durchschaubaren Evaluationsprozeß. Vertreter der Gewerkschaft und des BdWi sollten mit herangezogen werden, und es müsse die Möglichkeit der Beschwerde bei Verfahrensfehlern eingeräumt werden, forderten die Wissenschaftler an diesem Abend.

Die Kommission — eine neue Inquisition?

Wilhelm Krull, Pressesprecher des Wissenschaftsrates, weist die Vorwürfe der Akademiker zurück. Nur in einem Fall fehlten in der Gutachterkommission tatsächlich sowohl ausländische Evaluatoren als auch ein Vertreter aus der DDR. Die internationalen Gutachter sagten kurzfristig ab, und der DDR-Wissenschaftler erfuhr durch den langen Postweg zu spät von dem Termin. Auch der Vorwurf, die Kommission sei nicht an den Konzeptionen der Institute interessiert, ist unberechtigt, so Krull. Er habe selbst an 15 von bis jetzt insgesamt 30 Evaluierungen teilgenommen, und dabei hätten die Konzepte durchaus eine Rolle gespielt.

Dieter Simon, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, hat Verständnis für die Kritik der Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern, denn »schließlich hängt das künftige Leben davon ab«. Er weiß auch, daß die Evaluierung sowohl Hoffnung als auch Resignation, Gleichgültigkeit und mangelnden Optimismus unter den Wissenschaftlern auslösen kann. »Vielen muß die Kommission wie eine Inquisitionsbehörde vorkommen«, vermutet Simon. Das Hauptproblem besteht darin, Finanzierungen für die Institute und Einrichtungen zu finden. Die Empfehlungen dafür werden nach Abschluß der Evaluation vom Wissenschaftsrat an Bund und Länder gegeben. Dabei wird auch das Anbinden an Universitäten in Erwägung gezogen.

Die fünf neuen Bundesländer sind gegenwärtig noch nicht in der Lage, Mittel für den Wissenschaftsbetrieb zu erstellen. Bis zum 31. Dezember 1991 werden die Wissenschaftler zunächst befristet ihrer Forschungstätigkeit nachgehen. Aber bis dahin müssen Bund und Länder politisch- administrative Lösungen gefunden haben, die auch für 1992 eine Finanzierung sicherstellen. Für Simon gibt es keine Alternative zur Evaluation, oder man hätte »alles einstellen müssen«. Anja Baum/baep