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Der letzte Klassenkampf

■ Bei den Handball-Weltmeisterschaften der Frauen gewann Ost gegen West das Spiel um den dritten Platz PRESS-SCHLAG

In seligen Zeiten der DDR fuhren die SportlerInnen mit zwei Leistungsaufträgen zu jeder internationalen Meisterschaft: Ein möglichst guter Platz sollte erkämpft werden, den Funktionären war im allgemeinen der erste Rang am liebsten. Und dann war ein eventuelles Treffen mit der Bundesrepublik unbedingt zugunsten des Sozialismus zu entscheiden. Der Schmerz der Sportapparatschiks über eine verfehlte Medaille wurde gelindert, wenn wenigstens der Westen eins übergezogen bekam. Aber selbst nach völlig überraschenden Silbermedaillen setzte es harte Kritik, wenn das Finale gegen die BRD verloren wurde.

Die Handballerinnen der ehemaligen DDR hatten bei der X. Weltmeisterschaft der Frauen in Südkorea keinen der beiden Aufträge mehr erhalten. Sie erfüllten sie dennoch. Gewannen die Bronzemedaille und schlugen zudem im kleinen Finale das westliche DHB- Team. Aus völlig veränderten Gründen wird diese Tatsache den Ostmädchen nach Ende des letzten Wettstreits der ehemaligen Klassengegner besondere Jauchzer der Freude entlockt haben.

Das DHB-Team hatte gerade einen im westdeutschen Frauenhandball nie erlebten Aufwind überstanden. 1989 gewann die Mannschaft von Trainer Ulrich Weiler die B-Weltmeisterschaft und erhielt durch ungarische, rumänische, polnische und östliche „deutsche“ Spielerinnen weitere Verstärkung. Die Chancen stiegen ständig, zudem einige etablierte Frauenteams im Welthandball erheblich geschwächt waren (Ungarn, CSFR).

Dazu gehört zweifellos der Ex- Weltmeister von 1975 und 1978 DDR. Zwei komplette Stammbesetzungen der Nationalsieben verloren nach ihrem Westwechsel die Spielberechtigung für den DHV. Coach Heinz Strauch steckte nicht auf, sondern Postkarten in den Briefkasten, um junge Mädchen ohne internationale Erfahrung und routinierte Frauen für die letzte Nationalauswahl der verschwindenden DDR einzuladen.

Der Triumph dieses zusammengewürfelten Teams zeigt aufs neue die gewaltige Bedeutung der Motivation. Trainer Strauch setzte bewußt auf die Trotzreaktion seiner Schützlinge, es allen beweisen zu wollen, daß es im Osten Deutschlands immer noch gute Handballerinnen gibt. Ein weiteres Motiv (worauf Strauch aber nicht setzte) war der Kampf der Mannschaft für ihren Trainer. Das Prestigespiel um Platz drei wurde zur Entscheidungshilfe für den DHB, der im Dezember den Trainer der gesamtdeutschen Frauenauswahl bestimmen wird.

Die besser motivierten Mädchen haben gewonnen“, wußte es dann auch DHB-Betreuer Weiler ganz genau. Nach dem Spielstand von 3:3 zogen die Ostmädchen mit der klug Regie führenden Kathrin Mietzner an der Spitze auf und davon. Am Ende stand es 25:19. Der Trainer flog vor Begeisterung durch die Luft und die Mädchen vor Rührung auf die Knie. Für die meisten war es das Schlußkapitel ihrer internationalen Laufbahn. Das DHB-Team kann genauso stolz über seinen vierten Platz nach Hause fahren, ein noch nie erreichter Erfolg im bundesdeutschen Frauenhandball. Die doppelt errungene Olympiaqualifikation wird dann von einer gesamtdeutschen Auswahl wahrgenommen, in der auch alle gesperrten Ex-DDR- Stars wieder mitspielen dürfen. Ob dann die Rechnung „Dritter plus Vierter gleich Erster“ aufgeht, wird man in Barcelona sehen.

Der letzte Kampf Ost gegen West in der deutschen Sportgeschichte ging aber noch einmal an den Sozialismus und seine Spätfolgen. Das wird nun egal sein, denn nach der letzten Schlacht werden alle Trikots weiß und auf ihnen prangt der Bundesadler. bossi

Resultate der Plazierungsspiele:

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