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Schalck-Golodkowskis Pipeline zur CIA

Warum hockt Honeckers einstiger Schieberpapst völlig unbehelligt in seiner nobel-rustikalen Villa am Tegernsee?/ Teil 1 einer insgesamt dreiteiligen taz-Serie über dubiose Verbindungen zwischen ehemaligen Devisenbeschaffern, CSU-Freundeskreisen und Westgeheimdiensten  ■ Von Thomas Scheuer

„Krebsgeschwür!“ — „Verbrechersyndikat!“ Maulgewaltig erregen sich Saubermänner und -frauen in Bonn über dubiose Finanzmanöver der SED-Nachfolgepartei PDS. Große Empörung allerorten. Forsch fordert die stellvertretende SPD- Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin: „Jetzt müssen unsere Nachrichtendienste ran.“ Sie sollen, so will es die SPD-Dame, Firmen und Vermögen von Honeckers Erben im Ausland „aufklären“.

Da sind die Sozis gerade an der richtigen Adresse! Denn just die westdeutschen Geheimdienste schotten jenen Mann gegenüber Justiz und Öffentlichkeit ab, der die Knoten und Kanäle der Ostberliner Mafia kennt wie kein Zweiter, weil er sie selbst installiert und kontrolliert hat: Alexander Schalck-Golodkowski, vormals Stasi-Generalleutnant, Offizier im besonderen Einsatz (OiBE), Mitglied des ZK der SED, Staatssekretär im Außenhandelsministerium der DDR und dort Chef der Valutabehörde „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo).

Der wichtigsten Zelle des „Krebsgeschwürs“ haben hohe BRD-Politiker früher gern die Hand geschüttelt, noch im Dezember 1989 wurde er in Bonn von Kanzleramtsminister Seiters empfangen. Ein kriminalistischer Treppenwitz: Während in Berlin Sonderstaatsanwälte mühsam das Aktenmikado über die „Regierungskriminalität“ der Ex-DDR auseinanderklamüsern, wurde ausgerechnet der Exboß des „Verbrechersyndikats“ bislang nicht einmal als Zeuge vernommen. Als Persona Gratissima logiert Honeckers einstiger Schieberpapst unbehelligt in seinem neuen Westeigenheim, einer nobel-rustikalen Villa in Rottach-Egern am Tegernsee.

Welche gemeinsamen Interessen teilen die Geheimen in Pullach mit dem „Großvesir des untergangenen Stasi-SED-Wirtschaftsimperiums“ (SPD-MdB Penner)? Gut, Schalck hat nach seinem Absprung vor genau einem Jahr „gespuckt“, wie die Zunft das Auspacken von Überläufern nennt. Doch Indizien deuten darauf hin, daß Schalcks Draht zu westlichen Diensten weiter zurückreicht als seine Plauderstündchen bei CIA und BND. Fest steht: Eine Schalck-Firma lieferte Waffen für verdeckte Operationen der CIA! Und fest steht auch: Schalck ist nicht der erste hochkarätige Ostmafioso, der einem undurchsichtigen Freundeskreis mit Fäden zu CSU und BND ein neues Heim im bayrischen Hinterland verdankt.

Start in Schönefeld — „Waren laut Rechnung“

Um 14.35 Uhr hatte Prag per Funk die Überflugrechte bestätigt; wenige Minuten später gab der Tower des Flughafens Schönefeld in Ost-Berlin am 1.Oktober 1982 das Okay für Flug KY 426. Um 14.46 Uhr dröhnte die Frachtmaschine der „West Africa Airline“ über die Startbahn. Ziel laut Frachtbrief: Lagos. Empfänger der Ladung: Gouvernment of Nigeria. Die Ladung: knapp 14 Tonnen „Waren laut Rechnung Nr. 235/61“, eine Umschreibung, die im Luftfrachtbusineß so unüblich wie unzulässig ist.

Der Mann am Steuerknüppel der Boing 707 kannte sich aus am Himmel über Afrika. Granaten von Österreich nach Südafrika, Schießkram aus Sofia oder Prag nach Bagdad, Munition von Taiwan nach Libyen — wer immer für einen „special flight“ einen Flieger samt Crew brauchte, war bei der West Africa Airline an der richtigen Adresse. Unter Charter der legendären CIA-Airline „St. Lucia Airways“ flog sie Waffen nach Teheran, im Auftrag der britischen Armee setzte sie während des Falklandkrieges SAS-Kommandos in Südamerika ab.

Das Kontaktbüro der West-Africa-Flieger lag näher als der exotische Name vermuten ließ — im schweizerischen Basel, in einer Nebenstraße gleich beim Bahnhof. Dort residierte die Mutterfirma Clipper International. Nur die einzige Frachtmaschine der Mini-Airline war tatsächlich unter der Nummer 9 G-ACX in Ghana registriert.

Am 1.Oktober 1982, Kapitän Bruns und seine Crew gönnten sich nach einem Waffenflug nach Südafrika gerade eine Ruhepause in Basel, stand plötzlich ein seltsamer Kunde auf der Matte. Mister Lobster bot 5.000 Dollar pro Mann für einen dringlichen „special flight“. Noch am selben Tag startete die WAAL- Boing in Basel, traf um 13.45 Uhr in Schönefeld/Ost-Berlin ein und war nach einer knappen Stunde beladen. Lobster flog selbst gleich mit; bei späteren Flügen stieg er meist erst in Schönefeld zu. Offensichtlich war Lobster der Arrangeur der geheimnisvollen Flüge. Nicht nur wegen seiner drei unterschiedlichen Pässe, die er im Wechsel benutzte, stand für die Crew bald fest: Lobster arbeitete für die CIA!

Landung: Dulles Airport, Washington

Eine Weile stimmte die Richtung des Fluges KY 426 an jenem 1.Oktober 1982. Doch nach einem technischen Zwischenstopp in Lissabon hielt Kapitän Bruns straight Westkurs, steuerte hinaus auf den offenen Atlantik. Kurz nach Mitternacht landete die Maschine auf dem Dulles International Airport in Washington. Der neue Zielort stand mittlerweile auch auf dem Frachtbrief — schlicht mit dem Kugelschreiber über das Wort Lagos gekritzelt.

In Schönefeld war der Flieger gemäß einem Vermerk auf dem Frachtbrief von der Firma IMES beladen worden. Und die IMES war in Schalck-Golodkowskis Firmenimperium zuständig für den Waffenhandel. Auch die Piloten von damals sind überzeugt, daß sie „military equipment“ transportiert haben. Daß die IMES verbündete Regierungen und Befreiungsbewegungen der Dritten Welt mit Schießkram ausstattete, ist bekannt. Solche Geschäfte entsprachen der offiziellen Staatsideologie.

Womit aber bedienten Schalck- Golodkowskis Waffenkrämer die Führungsmacht des Klassenfeindes? Es klingt unglaublich, aber tatsächlich hat Schalcks Schieberbande den Amis Kriegsmaterial frei Haus geliefert. Bleibt die Frage: Hat Schalck diese Deals mit Billigung der SED- Chefetage abgewickelt oder hinter deren Rücken in die eigene Kasse gewirtschaftet? Hat Honeckers Chefwaffendealer gar „double-cross“ gespielt?

Dollars wiegen schwerer als Ideologie

Über Tarnfirmen und Mittelsmänner, das belegen Dokumente des US- Kongresses, deckten sich CIA und Stellen der US-Army in den achtziger Jahren in verschiedenen Ostblockstaaten mit riesigen Mengen von Kriegsmaterial ein. Harte US- Dollar zählten für die Direktoren der staatlichen Waffenschmieden in Warschau, Prag oder Sofia mehr als die offizielle Außenpolitik.

Auch die Staatshändler in Ost- Berlin waren kaum devisenresistenter. Kalaschnikow-Sturmgewehre, RPG 9-Panzerfäuste, Minen, Munition und Sprengmittel benötigte die CIA vor allem für drei „schmutzige Fronten“: Zur Unterstützung der moslemischen Rebellen in Afghanistan, für die Killerbanden der Unita in Angola und natürlich für die Aufrüstung der Contras in Nicaragua.

„Black Eagle“ — unter diesem Codewort lief von 1982 bis 1985 eine großangelegte geheime US-Operation zwecks Waffenbeschaffung im Ostblock. Später folgten die Operationen „Enterprise“ und „Supermarket“, die im Zuge des Iran-Contra- Skandals aufgedeckt wurden. Genau in diesem Zeitraum zwischen 1982 und 1985 pendelte die WAAL-Boing zwischen Ost-Berlin und den USA. Allein fünf Transportflüge konnte die taz nach Aussagen beteiligter Piloten und anhand von WAAL-Dokumenten rekonstruieren.

Der Frachtbrief eines WAAL- Waffenfluges von Ost-Berlin nach Washington enthält den Prägestempel der Firma Techaid International Ltd. Sie war offizielle Käuferin der Ware. Diese Firma ist in Panama registriert und taucht in US-Berichten immer wieder als ein wichtiger Knotenpunkt für Waffenlieferungen an die Contras auf. Angemeldet hatte die Techaid Ltd. der Advokat Julio Antonio Quijano, der in Panama mehrere CIA-Tarnfirmen verwaltete.

Weniger Glück als die Kollegen der WAAL hatte die Crew einer Caravelle der in Liberia registrierten „World Airlines“, die am 19.Juli 1983 auf dem Weg von Ost-Berlin nach Kairo im griechischen Saloniki notlanden mußte. Eine Kontrolle der Ladung hatte zur Folge, daß die Crew, die manipulierte Endverbrauchserklärungen vorlegte, zu mehreren Monaten Gefängnis wegen Waffenschmuggel verknackt wurde. Airline und Maschine gehörten einem Deutschen, der schon CIA-Nachschubflüge für die Unita in Angola ausgeführt hatte und später mit seinem Landsmann Dietrich Reinhardt die „Pearl Air“ auf Grenada aufbaute. Reinhardt gründete dann die berühmte CIA-Linie St. Lucia Airways. Kairo war damals einer der Umschlagplätze für die US-amerikanische Kriegshilfe an die afghanischen Rebellen.

DDR-Waffen für die Contras in Nicaragua

Solche „special flights“ waren keine Einzelfälle. Zwischen Ost-Berlin und Washington muß eine üppig sprudelnde „Pipeline“ existiert haben. Pipelines heißen im Branchenjargon jene verdeckten Kanäle, über die sich die CIA auf dem weltweiten Schwarzmarkt mit Militärgütern eindeckt.

In US-amtlichen Untersuchungen des Iran-Contra-Skandals wurden immer wieder Waffen aus dem Arbeiter- und Bauernstaat aktenkundig. Der dänische Frachter „Pia Vesta“ etwa wurde im Frühjahr 1986 vor der Küste Panamas aufgebracht. Unter der offiziell deklarierten Ladung fanden sich tonnenweise Waffen und Munition. Angeblich war die Ladung für Peru bestimmt; doch dort wollte davon niemand wissen. Ausgelaufen war die „Pia Vesta“ aus dem DDR-Ostseehafen Rostock. Beladen worden war sie dort, wen wundert's, von der Schalck-Firma IMES.

Die „Pia-Vesta“-Affäre galt bisher als eines der üblichen Waffengeschäfte der Ostberliner Regierung mit befreundeten Regimes oder Rebellenbewegungen in der Dritten Welt. Der Dampfer aus Rostock schipperte zwar Waffen für Nicaragua. Aber nicht für die Sandinisten, denen die SED-Internationalisten stets lauthals ihre Solidarität beteuerten, sondern für die Terrortrupps der Contras. Käufer der brisanten Ladung war nämlich die Genfer Firma CSF, ein finanztechnischer Knotenpunkt der Operation „Enterprise“.

Scharf auf High Tech „made in USSR“

Involviert war auch der Genfer Waffenhändler Georges Starckmann mit seiner Firma „Star Productions“. Beide Namen sind auf einer CIA-Liste geheimer Contralieferanten zu finden. Der deutsche Geschäftsmann Heinz Pollmann, dessen Genfer Firma VUFAG seinerzeit ebenfalls in Presseberichten mit der „Pia Vesta“ in Verbindung gebracht wurde, bestätigte der taz, daß er selbst damals gegen Provision den Kontakt zwischen Starckmann und IMES- Leuten vermittelt hatte.

Ein weiteres Detail: Die „Pia Vesta“ gehörte zu einer ganzen Armada von Frachtschiffen, wie etwa die „Erria“ oder die „Iceland Saga“, die der schwedische Seespediteur Tom Parlow im Auftrag der CIA gechartert hatte.

Neben konventionellen Waffen waren die CIA-Einkäufer besonders scharf auf militärische High-Tech- Artikel „made in USSR“ zur Auswertung durch die eigenen Experten. Nach einem Bericht der 'Washington Post‘ vom Mai dieses Jahres gab die CIA in den achtziger Jahren 240 Millionen Dollar für sowjetische Radar- und sonstige Militärelektronik aus. Eingekauft wurde bei den Bündnisgenossen Moskaus, denen auch hier der Cash vom Klassenfeind mehr am Herzen lag als die hochgelobte Waffenbrüderschaft mit der Roten Armee. Allein 80 Millionen Dollar, so die 'Washington Post‘, sollen Angehörige des Ceausescu-Clans abgesahnt haben für russische Militärtechnik, die sie hinter dem Rücken Moskaus an den Westen verscherpelten.

Von den restlichen 160 Millionen Dollar dürften einige auch in Ostberliner Kassen versickert sein. Zumindest einen Hinweis enthält ebenfalls das Logbuch der WAAL-Boing 9 G-ACX. Einige Male, so am 1.Dezember 1982, mußte Kapitän Bruns mit der DDR-Ware aus Schönefeld das Phillips Army Airfield bei Baltimore anfliegen. Direkt daneben liegt „Aberdeen Testing Ground“, ein riesiges Test- und Versuchsgelände der US-Army.

Auch die Analytiker des „Foreign Technical Intelligence Office“ haben dort ihre Zentrale. Über den Inhalt der ein mal ein Meter großen Kisten, die er damals dort ablieferte, mutmaßt Pilot Bruns: „Satellitentechnik oder so was, vielleicht aus China oder Rußland.“ Vor diesen Flügen wurden er und sein Copilot bei einer Stelle der US-Air-Force in London instruiert; so oft landen Zivilpiloten schließlich nicht auf Army Airfields.

Der Mann, der alles über diese „Pipeline“ und noch viel mehr weiß, nämlich Ost-Berlins Chefschieber Alexander Schalck-Golodkowski, schweigt eisern. Ob ihn jemals ein Staatsanwalt überhaupt befragen darf, das entscheidet im Rechtsstaat BRD nicht die vorgeblich unabhängige dritte Gewalt. Allein verfügungsberechtigt über den „Übersiedler“ sind die Dunkelmänner in Pullach. Vor deren Kommando: „Finger weg von Schalck!“ kuscht die Justiz.

Der skandalöse Vorgang hat auffallende Parallelen: Ganz in der Nähe von Schalcks heutigem Zufluchtsort ließ sich vor rund fünfzehn Jahren schon einmal ein hochkarätiger Ostaussteiger nieder: Simon Goldenberg. Allein der Name hatte zwei Jahrzehnte lang bei westlichen Zollfahndern und Abwehrexperten heftige Adrenalinstöße ausgelöst. Doch in seiner neuen bayrischen Heimat — beileibe kein geographischer Zufall — blieb der DDR-Bürger unbehelligt. Aus München kam die Order: „Hände weg von Goldenberg!“

Morgen in der taz: Die Geschichte

des Simon Goldenberg

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