Gorbatschow schwenkt nach rechts aus

Mit dem Revirement an der Spitze des Innenministeriums erhalten die Konservativen Auftrieb, die den Kampf gegen die Korruption fürchten/ Partei tritt den Rückmarsch in die staatlichen Organe an  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Leningrads reformfreudiger Bürgermeister und sowjetische Medienstar, Anatolij Sobtschak, hielt mit seiner Meinung wieder mal nicht hinterm Berg: Die Absetzung des sowjetischen Innenministers, Wadim Bakatin, und die eigenmächtige, unabgesprochene Ernennung neuer Minister seien „deutliche Kennzeichen eines totalitären Regimes“. Das war klar auf den Präsidenten gemünzt. Denn mit dieser Aktion hat der Noch- Kapitän Gorbatschow sein leckes Schiff auf strammen Steuerbordkurs gebracht. Ob die Auswechslung des Zweiten Offiziers ihm jedoch dabei helfen wird, vor einer der auseinanderdriftenden Inseln der UdSSR noch ankern zu können, ist mehr als fraglich. Ebenso umstritten ist, ob das Kaderkarussell, das Gorbatschow seit seinem Amtsantritt so virtuos beherrscht, in diesem Fall wirklich nur strategischen, auf eine Rettung der Reformpolitik abzielenden Überlegungen geschuldet ist. In der sowjetischen Hauptstadt hört man immer öfter, daß der abgesetzte Innenminister, der in letzter Zeit deutlich an Konturen gewonnen hat, zu einem heimlichen Kontrahenten des Pantokraten avanciert sei.

Letzter Streitpunkt war der neue Unionsvertrag. Bakatins Vorstellungen sahen weit mehr Rechte für die einzelnen Republiken vor als der von Gorbatschow favorisierte Plan, der die entscheidenden Kompetenzen im Zentrum belassen möchte. Bakatin hatte seiner Überzeugung auch Taten folgen lassen. Auf Regierungsebene arbeitete er mit den neuen Vertretern der baltischen Republiken zusammen. Postwendend erhob sich massive Kritik aus den Reihen der KPdSU: „Einvernehmen mit Separatisten“ warf man ihm vor und drängte auf seine Entlassung, die Gorbatschow nun exekutierte.

Gestern morgen förderte der sowjetische Jugendfunk noch einige delikate Details hervor. Am Freitag hatte der gefeuerte Innenminister eine tiefgreifende Reform innerhalb der Miliz (Polizei) angekündigt und der Korruption in Moskau den Kampf angesagt. Hier liegt wohl der Hase im Pfeffer. Bakatins Nachfolger, Boris Pugo, Lette von Haus aus und ein strammer Parteisoldat mit KGB-Vergangenheit, gehöre zu den Drahtziehern im Fall Gdljan und Iwanow. Die beiden Staatsanwälte — mittlerweile Volkshelden — wollten sich, nachdem sie die Parteimafia Usbekistans erfolgreich hochgejagt hatten, auch an die Trockenlegung der Moskauer Mafiasümpfe machen. Doch nichts da. Ihren Aktivitäten wurde kurzerhand die Rechtsgrundlage entzogen, sogar ihre parlamentarische Immunität wollte man ihnen nehmen. Und Boris Pugo soll dort mitgemischt haben.

Mit dem Revirement will Gorbatschow andererseits die rechten Kräfte innerhalb der Partei und Vertreter der orthodox gestrickten Parlamentariergruppe „Sojus“ bei der Stange halten. In dem rasanten Machtverfall des Präsidenten wittern sie ihre Chance und schlüpfen aus ihren Löchern. „Sojus“ kündigte sogar an, das Feuer auf Außenminister Schewardnadse zu eröffnen. Im Parlament der Russischen Föderation haben dieselben Leute dem Gesetz über den freien Landerwerb die reformerischen Krallen gezogen. Privates Landeigentum bleibt unter strikter Staatskontrolle (s. nebenstehenden Artikel).

„Die Entfernung auch anderer Leute, die ,Sojus‘ nicht passen, wird bald kommen“, dröhnte einer ihrer Vertreter grobschlächtig. Und Verteidigungsminister Jasow drohte unlängst im Fernsehen den Republiksführungen — nachdem er noch vor einem Jahr betont hatte, innere Sicherheit sei nicht Sache der Armee. Eine klare Warnung an Gorbatschow. Die Ernennung General Boris Gromows, des einstigen Kommandeurs der Roten Armee in Afghanistan, zum stellvertretenden Innenminister kann in diesem Zusammenhang als Konsolidierungsversuch seitens des Präsidenten verstanden werden. Doch entfernt er sich damit vom Reformkurs. Denn Pugo und Gromow garantieren, daß sich die Partei nicht — wie noch im September von Gorbatschow selbst per Dekret verfügt — aus dem Staatsapparat zurückzieht. Im Gegenteil. Die Trennung von Staat und Partei zählte aber einst zu den wichtigsten Reformanliegen des Generalsekretärs.