Führungskrise bei der SPD
: Oskar gibt seinen Genossen einen Korb

■ Wie „vom Donner gerührt“ waren die GenossInnen am Montag abend, als Wahlverlierer Lafontaine das Angebot, den Parteivorsitz zu übernehmen, ausschlug. Da half auch kein Drängen: Oskar mag nicht an den Rhein. Da Hans-Jochen Vogel angekündigt hatte, auf dem Parteitag in Bremen im Mai nächsten Jahres nicht noch mal für das Amt des Parteichefs zu kandidieren, eilten die SPD-Spitzen am Dienstag ratlos von Krisensitzung zu Krisensitzung. Sechs Stunden Parteiratssitzung blieben ohne Erfolg.

Die Bonner Genossen machten keinen Hehl aus ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung über Oskar Lafontaine. Der Hamburger Senator Horst Gobrecht sagte: „Seine bundespolitische Karriere ist damit zu Ende.“ Die stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin zeigte sich „traurig“ und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm „sehr enttäuscht.“ Lafontaine hatte am Montag abend das Angebot seiner Genossen, Parteivorsitzender zu werden, abgelehnt.

„Ich fühle mich gedrängt“, soll er gesagt haben. Er habe diese Entscheidung „aus persönlichen Gründen“ getroffen, die mit dem Attentat im Sommer zusammenhingen. Einige nehmen ihm das nicht ganz ab und vermuten, die Kritik Willy Brandts an seinem Wahlkampf habe den Ausschlag gegeben. Brandt hatte — ohne wohl Lafontaine direkt anzugreifen — einen Vortrag über die Einheit der Nation gehalten. Oskar redete dagegen: Für ihn gebe es keine deutsche, allenfalls eine europäische Nation. Klaus von Dohnany forderte sogar Abbitte von Lafontaine: Erst wenn er zugebe, daß die schnelle Einheit und die Währungsunion richtig waren, könne er Parteivorsitzender werden.

Am Montag vormittag hatte Lafontaine im Präsidium dem Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel und dessen StellvertreterInnen Johannes Rau und Herta-Däubler Gmelin signalisiert, unter Umständen sei er bereit, den Parteivorsitz anzunehmen. Er stelle jedoch personelle und organisatorische Bedingungen. Vorstandsreferent Karl- Heinz Klär mutmaßt: „Vielleicht war es ein Fehler, daß sie darauf nicht sofort eingegangen sind.“ Klär berichtet allerdings auch, bereits vor Wochen habe Lafontaine seinen Freunden erzählt, er übernehme das Amt des Parteivorsitzenden „auf keinen Fall“.

Auch Parteichef Vogel will nicht mehr

Gestern morgen im Vorstand sorgte dann Hans-Jochen Vogel für Überraschung: Auch er werde auf dem Parteitag im Mai nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren, erklärte er seinen verdutzten Genossen. Er habe genug von dem Hin und Her und wolle nicht den Lückenbüßer spielen. Außerdem sollten jetzt „die Jüngeren ran“. Als Fraktionsvorsitzender stehe er weiter zur Verfügung. Im Parteivorstand waren sich alle einig, daß in Zukunft die Vorsitze von Partei und Fraktion besser getrennt werden sollten.

Am Nachmittag trafen sich die Vertreter der SPD-Landesorganisationen im Parteirat mit Oskar Lafontaine. Der Ratsvorsitzende Norbert Gansel dankte dem Kanzlerkandidaten für den „tapferen und mutigen“ Wahlkampf. Die „Linie Lafontaine“ sei absolut richtig gewesen. Jetzt stehe ein Generationenwechsel an. Leider habe der, „den wir am liebsten hätten“, zur Zeit nicht die „seelische Kraft“ für den Vorsitz.

Miserable Organisation in der Partei

Damit sei jedoch noch keine Entscheidung über den Kanzlerkandidaten für die nächste Wahl gefallen. Ob der wieder Lafontaine heiße, „hängt von Dir ab“, sagte er dem Verlierer der vergangenen Wahl.

Lafontaine ging auf die Gründe für sein Nein zum Parteivorsitz nicht mehr ausführlich ein. Er monierte jedoch, während des Wahlkampfes habe es „mangelde Solidarität innerhalb der SPD“ gegeben. Damit meinte er wohl die Ministerpräsidenten Engholm und Schröder mit ihrer Forderung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Vor allem aber wohl Helmut Schmidt, der gesagt hatte: „Er wird die Wahl verlieren, und er verdient es auch.“

Der Stellvertretende SPD-Vorsitzende aus dem Osten, Wolfgang Thierse, wagte vorsichtige Kritik an Oskar Lafontaine. Die Erwartungen der Bürger aus der ehemaligen DDR seien zu hoch, die Organisation der Partei miserabel, aber Lafontaine habe eben auch das Empfinden der Leute nicht richtig angesprochen. Der baden-württembergische Parteivorsitzende Dieter Spöri sagte, die Wirtschaft „boome“ und die Leute vertrauten darauf, daß es so weiter gehe. Das sei das Problem der SPD.

„Auch eine Frau kann es werden...“

Doch allzu lange wollten sich die Genossen nicht mit der Wahlanalyse beschäftigen. Die Frage brennt allen unter den Nägeln: Wer wird jetzt Parteivorsitzender? Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder lehnte bereits sehr deutlich ab. Sein schleswig-holsteinischer Kollege Björn Engholm sagte zwar, seine Vorraussetzungen als Regierungschef in Kiel seien nicht besonders gut.

Wie er reagieren werde, falls ihn der Ruf ereile, ließ er jedoch offen. „Auch eine Frau kann es werden“, sagte er den Journalisten. Die derzeitige stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin käme in Frage.

Auch Johannes Rau machte gestern deutlich, daß er zur Verfügung stünde. Auf die Frage, ob denn Lafontaines Absage wirklich definitiv sei, meinte er: Da dieser persönliche Gründe genannt habe, könne man ihn nicht mehr offiziell auffordern. Das schließe jedoch „ein freundschaftliches Gespräch“ nicht aus. Tina Stadlmayer, Bonn