Pentagon mißtraut Sanktionen

■ US-Militärs raten zur kriegerischen Eile/ Kongreß verlangt Geduld/ Auch EG will Dialog mit dem Irak

Aus Washington Rolf Paasch

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bush-Administration und führenden Mitgliedern des US- Kongresses über das weitere Vorgehen gegenüber dem Irak haben sich weiter vertieft. Außenminister Dick Cheney erklärte am Montag vor dem Militerausschuß des Senats, die Vereinigten Staaten könnten nicht von einem Erfolg der Sanktionen ausgehen. „Wir können nicht eine unbestimmte Zeit auf das Resultat der Sanktionen warten“, so warnte Cheney in seiner äußerst kriegerischen Vorstellung bei der Anhörung des Senatsausschusses. Es sei besser, jetzt mit Saddam fertigzuwerden, wo die Anti-Irak-Koalition noch stehe, als in fünf bis zehn Jahren, wenn Saddam noch besser bewaffnet sei als heute.

Cheneys Aussagen machten deutlich, daß die Bush-Administration die „angeblich billige, langsam eskalierende Vielleichtstrategie“ reiner Luftangriffe endgültig zugunsten eines totalen Kriegs zur See, zu Luft und zu Lande verworfen hat. Der wild mit seinen Falkenflügeln schlagende Außenminister verneinte auch die Frage Senator Kennedys, ob die Verfassung denn vor solchen Kampfhandlungen nicht eine formelle Kriegserklärung durch den Kongreß erforderlich mache.

Die Aussagen von Cheney und des Vorsitzenden der Stabschefs, Colin Powell, standen am Ende der einwöchigen Anhörung des Militärausschusses, in dem sich bisher fast alle befragten Experten, Exgeneräle und Exminister für mehr militärische Vorsicht und Geduld sowie ein Abwarten der Wirkungen von Sanktionen ausgesprochen hatten. Nach den jüngsten Meinungsumfragen sind die US-Bürger noch weit von einem Kriegskonsens entfernt. Nur knapp zwei Drittel aller Amerikaner sind für ein militärisches Vorgehen am Golf, falls der Irak sich nicht aus Kuwait zurückzieht. Differenziertere Fragen verweisen sogar noch auf eine größere Skepsis im Volk. Während 90 Prozent Präsident Bushs neue Gesprächsinitiative gutheißen, glaubt weniger als die Hälfte der Befragten an einen Erfolg der jetzt vereinbarten Außenministerreisen.

Unterdessen geht die militärische Aufrüstung am Golf weiter. Außenminister Cheney hat am Montag die Verstärkung des Reservistenangebots am Golf um weitere 63.000 Männer und Frauen auf 180.000 bekanntgegeben. Nach amerikanischem Gesetz kann der Präsident in Friedenszeiten bis zu 200.000 Reservisten mobilisieren, ohne den Ausnahmezustand ausrufen zu müssen. General Colin Powell hatte sich vor dem Ausschuß zuversichtlich gegeben, daß die USA die geplanten 400.000 Mann für ein Jahr am Golf stationieren könne, ohne eine Mobilisierung aller Reserveeinheiten oder die Wiedereinführung der 1973 abgeschafften Wehrpflicht in Betracht ziehen zu müssen.

George Bushs Entscheidung, den irakischen Außenminister Tarik Asis im Dezember nach Washington einzuladen und US-Außenminister James Baker nach Bagdad zu schicken, hat in den USA nun zu einer Debatte über die „Verhandlungsfalle“ ('Washington Post‘) geführt. Nachdem sich beide Seiten nun auf rein bilaterale Gespräche geeinigt haben, fürchten die Anhänger einer härteren Linie, daß Saddam Hussein das Rückzugsultimatum (15. Januar) durch eine Verzögerungstaktik und diplomatische Tricks unterlaufen könnte.

Währenddessen beschlossen heute die EG-Außenminister in Brüssel, sich ebenfalls aufs diplomatische Parkett in der Golfkrise zu begeben. Sie erklärten sich einverstanden, daß direkte Gespräche mit dem Irak aufgenommen werden. Ins Auge gefaßt wird offenbar ein Treffen zwischen dem irakischen Außenminister und seinem italienischen Amtskollegen Gianni De Michaelis.

Eine Meldung der britischen Zeitung 'The Guardian‘ vom Montag, nach der die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats dem Irak für den Fall seines Rückzugs aus Kuwait und der Freilassung aller Geiseln eine Nichtangriffsgarantie geben wollen, ließ sich in Washington nicht bestätigen.