DERDOPPELPOP-TIP  ■  HOLGER CZUKAY

Wer bei Holger Czukay an einen sehr ergrauten Musikerclown denkt, der in merkwürdiger Naivität mit Kindermelodien, Dödelflöten und Spielzeugorgeln zum frequenzreichen Sabotageakt gegen die deutschen Schlagerparaden anhebt, der liegt immer noch ein wenig zu falsch. Czukay hat von Beginn an genau das Quentchen an »Mehr« seinen Songs zugefügt, das seiner anarchischen Attitüde die Selbstgefälligkeit des Künstlers, das Autonom-Elitäre nahm.

Erst war er Übergroover am Baß bei Can, dann Überelektropunk mit Les Vampyrettes und später ätherischer Überflieger mit Ex-Japan-Sänger David Sylvian (also eine Geschichte ganz im Stile eines Brian Eno). Und selbst die kosmisch- schrägen Tanzmusiken, mit denen er Solopfade seit Ende der 70er beschreitet, haben allesamt etwas Grazil-sperriges. Überpop, Metapop, Doppelpop.

Das alles macht es natürlich noch wesentlich reizvoller, sich ein Czukay-Konzert anzuschauen. Ein hoher Grad an Ungewissheit bezüglich des zu erwartenden Programms läßt ihn so spannend wie ein Horowitz-Abend erscheinen. Wird er uns mit zerhackten Rockattacken kleinkriegen? Oder elektronische Ausschweifungen mit Weltempfängersenderfrequenzsalat über uns bis zur Ohnmacht ergießen? Vielleicht gibt es auch bloß nette Stimmungshäppchen und Popgeblödel, oder im Stile der Fahrstuhlmoderne verschlafene Ambientsoundmalereien satt.

Das Gute an Czukay ist diese bis ins Extrem gepflegte Unberechenbarkeit, mit der der freundlich aussehende Professortyp die musikalische Popavantgarde auch noch in den 90er Jahren (die ohnehin das definitive Can-Revival bedeuten werden) vorausreitet, ihm im Gefolge alles zwischen Jeremy Days und Marianne Rosenberg. Heute können alle alles kriegen. Im bunten Melodienstrauß des Holger Czukay, der Antwort auf Peter Alexander und Captain Beefheart. Harald Fricke

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